Strafe bringt einfach mehr als Lob

Das Experiment wurde an der Washington University durchgeführt. 88 Studenten wurden einer Folge schneller Lichtblitze und Klickgeräusche ausgesetzt und sollten anschließend beurteilen, ob mehr Signal von links oder rechts gekommen waren. Für eine richtige Schätzung gab es Geld. War die Schätzung falsch, verringerte sich das Konto wieder. Ohne aufs Detail einzugehen, das Ergebnis war eindeutig: Die Angst vor Verlust war eine größere Antriebskraft als die Aussicht auf Gewinn. Bis zu dreimal größer war der Einfluss, den der Verlust des Geldes auf das Verhalten der Studenten hatte. „Negatives Feedback ist also effektiver als positives Feedback, wenn es darum geht, das Verhalten zu ändern", schussfolgerte daher der Wissenschaftler Jan Kubanek. Anders gesagt: Die Angst ist vor Strafe ist dreimal besser als die Hoffnung auf Belohnung.

Chinesen zum Beispiel gelten als besonders fleißig und lernfähig. Sieht man sich das chinesische Schulsystem an, erkennt man schnell, weshalb. Der Stock ist im Klassenzimmer allgegenwärtig. Meist trägt ihn der Lehrer unter dem Arm – als Zeichen seiner Autorität. Schlechtes Betragen, Unaufmerksamkeit, stören im Unterricht? An chinesischen Schulen gibt es das nicht,denn der Stock sitzt locker und jeder Schüler weiß das. Jede Schülerin auch, denn zwischen der Zurechtweisung eines Jungen und eines Mädchens wird in China kaum ein Unterschied gemacht. Eine schlechte Note löst zu Hause Entsetzen aus. Gefolgt von einer einprägsamen Strafe. Für eine junge Chinesin ist daher die Schulzeit wahrlich kein Zuckerschlecken. Und wer sich mit einer Chinesin einlässt, der weiß auch, dass sie weiß, wie sich ein Rohrstock anfühlt. Oder ein Holzpaddel.

In der Lernpsychologie bezeichnet man eine Strafe ziemlich abstrakt als „negativer Verstärkung“. Das heißt, ein bestimmtes Verhalten wird allein dadurch erreicht, dass sich mit Konformität unangenehme Konsequenzen vermeiden lassen. Man geht also einer Strafe aus dem Weg, indem man sich so verhält, wie es erwartet wird. Der Sohn setzt alles daran, um nächstes Mal eine Note zu erhalten, die keinen Hausarrest nach sich zieht. Die Tochter kommt pünktlich um zehn nach Hause, weil sonst bereits Vater mit seinem Ledergürtel auf sie wartet.

Anders sieht die Sache jedoch aus, wenn der Drang nach dem unerwünschten Verhalten extrem groß ist. Da kann es schnell passieren, dass die Androhung von Strafe nicht dazu führt, dass das unerwünschte Verhalten aufgegeben wird. Sondern es werden damit lediglich Vermeidungsstrategien ausgelöst. Weiß er genau, dass er eine Ohrfeige beziehen wird, wenn er geraucht hat, wird er eben durch viel Pfefferminze dafür sorgen, dass sein Atem nicht nach Marlboro riecht. Will sie unbedingt zur Disko, obwohl es ihr das strikt verboten wurde, erzählt sie eben, dass sie sich mit ihrer besten Freundin trifft, um gemeinsam an einem Schulprojekt zu arbeiten. Das heißt, die Strafe wird vermieden, ohne dass das Verhalten geändert wurde.

Die moderne Pädagogik spricht gerne von der „positiven Verstärkung“. Dabei gilt als Ideal, ein erwünschtes Verhalten zu belohnen, anstatt ein unerwünschtes Verhalten zu bestrafen. Auch werden schlechte Leistungen nicht bestraft, sondern lediglich gute Leistungen belohnt. Dass das bei schulischen Leistungen weit weniger wirksam ist als der umgekehrte Weg, zeigt allerdings schon die eingangs erwähnte Studie. In den meisten anderen Situationen wird das aber nicht wirklich funktionieren. Wird die Tochter pünktlich nach Hause kommen, nur weil es dafür fünf Euro gibt, während zu spät Kommen keine FOlgen hat? Wird er Sohn mit dem Rauchen aufhören, weil er dafür zum Geburtstag ein neues Fahrrad bekommt? Wohl kaum.

Strafe hat also nach wie vor eine entscheidende Funktion, obwohl man über Art und Höhe natürlich streiten kann. Das trifft nicht nur auf die Erziehung zu. Auch der Staat weiß sehr wohl, dass drastische Strafen für Gesetzesübertretungen weitaus wirkungsvoller sind, als Wohlverhalten durch Belohnung zu fördern. Hohe Parkgebühren und horrende Strafzettel bei Falschparken tun weh und veranlassen so manch Einen, das Auto zu Hause zu lassen und mit der Straßenbahn in die City zu fahren. Kostenlose Tickets für den Nahverkehr zeigen hingegen nur eine marginale Wirkung. Im Gegenteil, diejenigen, die sich nicht darum scheren freuen sich, dass wieder mehr Platz in der Innenstadt ist.

Strafe muss eben weh tun und das kann man durchaus auch wörtlich verstehen. Aber Strafe muss immer auch begründet sein. Sie muss in Relation zur Verfehlung stehen und als gerecht empfunden werden. Nur so wird sie Einsicht bewirken, auch wenn diese Einsicht oftmals erst Jahre später eintritt. Ungerechte Strafen hingegen führen zu Rebellion. Und die lässt sich nur durch immer härtere Strafen eindämmen - bis irgendwann der Bogen überspannt ist und Wohlverhalten nur noch durch Gewalt aufrecht erhalten werden kann.