Denkzettel für die Schwiegertochter
Es war die Reportage einer jungen Journalistin, die mir seinerzeit aufgefallen war. Sie hatte einige Monate in Indien gelebt. Nicht als Touristin, sondern als Ehefrau eines Inders, dem sie in seine Heimat gefolgt war. Die Erfahrungen waren ernüchternd und ein Beisiel dafür, dass man die seit Kindheit an verinnerlichten kulturellen Werte nicht einfach aus dem Gedächtnis löschen kann, sondern ein Leben lang mit sich herumträgt. Zum Beispiel das Prinzip, dass man mit seiner Ehefrau nicht einfach zusammenzieht, um ein Leben zu Zweit zu führen und irgendwann die gemeinsamen Kinder aufzuziehen. Vielmehr denken Inder im Sinne der Großfamilie. Und dazu gehört, dass die Ehefrau nicht einfach zu ihrem Mann gehört, sondern Teil der ganzen Familie wird.
Und dort wird sie vor allem der Mutter ihres Mannes unterstehen. Und die wird sie behandeln wie ihre eigene Tochter. Also so, wie man in Indien Töchter behandelt. Töchter stehen nämlich in der indischen Familienhierarchie an unterster Stelle. Sie haben zu funktionieren. Sie haben zu parieren. Und eine Ehefrau eines Sohnes hat ihrer Schwiegermutter gegenüber absoluten Gehorsam zu zeigen. Gut für sie, wenn diese ein gutherziger Mensch ist. Pech, wenn sie die neue Frau im Haus nicht mag und der Meinung ist, ihr Sohn hätte Besseres verdient.
Das wird die junge Frau dann auch zu spüren bekommen. In Indien verwendet man einen Bambusstock für ungehorsame Töchter. Und ein Grund für Ungehorsam lässt sich immer finden. Grund für eine Bestrafung. Erst durch die Schwiegermutter und nach Rückkehr ihres Mannes zusätzlich noch aus seiner Hand. Denn eine Ehefrau hat zu gehorchen. Ihrem Mann. Und seiner Mutter. Und das ohne Wenn und Aber.
Das mag zwar im Zentrum Europas anders sein. Aber auch hier gibt es Mütter, die für ihren Sohn nur das Beste wollen. Das Beste nach ihrer Vorstellung natürlich. Und diesen Anforderungen kann eigentlich keine Frau genügen. Es sei denn, sie als Mutter hat sie selbst für ihn ausgesucht.
Auch hierzulande gibt es Männer, die sich nie von zu Hause abnabeln. Nicht von ihrer Familie und ihren Traditionen. Und erst recht nicht von ihrer Mutter. Oft sind sie es, die bis zu ihrer Hochzeit zu Hause gelebt haben. Und sie finden es praktisch, wenn sie auch mit ihrer Ehefrau da leben, wo sie immer gelebt haben. Zu Hause. Bei den Eltern. Bei Mama. Denn die wird nach wie vor für ihn da sein und sich um alles kümmern.
Doch auch hier kann das Leben der frisch gebackenen Ehefrau so oder so verlaufen. Vielleicht ist ihre Schwiegermutter eine liebenswerte Frau, die ihre Schwiegertochter mit offenen Armen aufnimmt. Sie kann aber auch eine echte Hexe sein, die gar nicht gut auf die Frau zu sprechen ist, die ihr den Sohn weggenommen hat. Und die ihr jeden Knüppel in den Weg legen wird, den sie finden kann. Denn keine Frau ist gut genug für ihren Jungen.
Ein guter Junge ist natürlich ein braver Junge. Er hat gute Noten nach Hause gebracht, eine gute Ausbildung gemacht und ist auf dem Karriereweg. Seine Frau ist bestimmt hübsch. Sie ist begehrenswert. Vor allem aber ist sie jung. Viel jünger als er. Viel zu jung für seine Mutter die in ihr lediglich ein Flittchen sieht, das sich an ihren Jungen herangemacht hat. Und einem Flittchen muss man es zeigen. Man muss ihr eine Lehre erteilen. Man sollte sie übers Knie legen und eine ordentliche Tracht Prügel verpassen.
Das passiert zwar in der Praxis recht selten. Aber man könnte den Gedanken ja mal zu Ende spinnen. Als Beispiel für eine junge Frau, der man straffe Zügel anlegt. Um ihr zu zeigen, wo ihre Grenzen sind.