Er schlägt zu. Aber sie ist es, die entscheidet.

Die BDSM-Szene ist eigentlich schon eine recht seltsame Welt. Da laufen Männer in martialischen Lederklamotten herum, Frauen tragen Halsbänder aus Leder und Eisen um den Hals und wer dazu gehören will, trägt natürlich stets eine Reitgerte bei sich. Doch eine Männerwelt ist es dennoch nicht, denn es bestimmen weitgehend die Frauen, wie weit er gehen darf und wann Schluss ist.

In früheren Generationen hatten die Männer noch das Sagen. Uneingeschränkt und ohne, dass eine Frau auch nur auf die Idee gekommen wäre, ihnen dieses göttliche Recht streitig zu machen. Schließlich hatte der Herrgott selbst den Mann zum Haupt der Frau gemacht und in den Augen der Kirche war nur eine demütige Frau eine wirklich gute Frau. Außerdem bekamen die Frauen damals am laufenden Band Kinder und wer ein halbes Dutzend Blagen zu bändigen hat, hat für revolutionäre Gedanken einfach nicht den Kopf frei.

Also war ein Bauer der unangefochtene Herr auf seinem Hof, ein Staatsbeamter bestimmte über die Seinen nach Gutdünken und selbst ein Fabrikarbeiter konnte sich daheim wie ein Despot aufführen, vor dem sich alle in acht nahmen.

Wer damals seine Kindheit durchlebte, machte früher oder später mit Vaters Lederriemen Bekanntschaft. Wer in die Schule kam, lernte den Rohrstock kennen, der extra für diesen Zweck aus dem Fernen Osten importiert wurde. Auch Lehrherren zögerten nicht, ein Lehrmädchen mit der Weidenrute zu züchtigen und selbst so manche Ehefrau musste erkennen, dass der Mann in ihrem Leben nicht nur zärtlich sein konnte, sondern auch das Züchtigungsrecht über sie besaß.

Was die Betroffenen davon hielten, interessierte damals niemand. Schauten bei einem Mädchen rote Striemen unter dem Saum ihres Kleides hervor, dann zeigten zwar ihre Freundinnen Mitleid, aber die Erwachsenen nahmen es mit zustimmendem Nicken zur Kenntnis. Sie wird es verdient haben, lautete die Vermutung und man lobte die Eltern, die ihre Tochter mit der nötigen Strenge erzogen.

Die Striemen einer Ehefrau wurden eher diskret gehandhabt, aber auch sie musste sich anhören, dass ihr Mann sicher allen Grund dafür gehabt hatte. Also behielt sie den Vorfall für sich und strente sich an, damit er so schnell nicht wieder Grund hatte, sie zurechtzuweisen.

Ganze Generationen sind mit der Rute, dem Rohrstock oder dem Lederriemen aufgewachsen. Kein Kind wäre deswegen zum Jugendamt gelaufen. Keine Frau wäre zur Polizei gerannt und kein Schüler hätte seinen Lehrer angezeigt. Das Ergebnis wäre vermutlich heiteres Gelächter gewesen, denn Erziehung muss sein und Erziehung tut eben manchmal weh.

Eine BDSM-Szene gab es seinerzeit nicht. Wozu auch? Wer flagellantische Neigungen hatte, konnte die problemlos in seinem unmittelbaren Umfeld ausleben.

Doch die Welt hat sich grundlegend geändert. Zumindest die westliche Welt. Den Rohrstock des Lehrers gibt es nicht mehr. Auch die Reitgerte für die Ehefrau ist außer Mode gekommen und wer seine Kinder schlägt, gilt nicht als vorbildlicher Vater, sondern wird wegen Kindesmissbrauch angezeigt. Selbst eine schlichte Ohrfeige wird mittlerweile als Körperverletzung geahndet und jedes Kind weiß das.

Bessere Kinder sind deswegen nicht entstanden. Bessere Ehefrauen auch nicht. Dafür hat die Moral dramatisch nachgelassen, zwölfjährige Mädchen erhalten die Pille und ein Jawort vor dem Hochzeitsaltar ist mittlerweile nichts mehr wert.

Dennoch scheint da in jedem von uns ein Bedürfnis nach den guten alten Zeiten zu schlummern. Nach damals, als noch alles seine Ordnung hatte und jeder seinen Platz im Leben kannte. Damals, als jeder auf BDSM stand, auch wenn es diesen Begriff überhaupt noch nicht gab. Als jeder Vater, jeder Ehemann und jeder Vorgesetzter ein Herr war und jedes weibliche Wesen dem schwachen Geschlecht zugeordnet wurde, das der männlichen Führung und Leitung bedurfte.

Wer heute so denkt, wie Männer eigentlich schon immer gedacht haben, muss das allerdings auf verschwiegenen Szenetreffs tun. Dort darf Mann wieder so sein, wie er eigentlich sowieso sein will. Er trifft sich unter Seinesgleichen und zelebriert seine Männlichkeit. Mit der Frau an seiner Seite hat er keine Beziehung und erst recht nicht auf Augenhöhe. Er hat sie mitgenommen, um sich mit ihrer Schönheit zu schmücken, um mit ihr zu beeindrucken, um seinen neuesten Besitz vorzuführen. Sie hat für ihn dieselbe Bedeutung, wie die Rolex am Arm oder der Porsche vor der Tür. Sie schmückt, sie unterstreicht, sie erhöht sein Ego.

Aber das Ganze ist nicht echt. Es ist nur eine Schau für die Sinne und eine Vorlage für die Fantasie. Denn die Wirklichkeit sieht völlig anders aus.

In Wirklichkeit tut sie nämlich nur so, als wäre sie das unmündige Weibchen, das sich willig den Launen seines Herrn beugt. Sie gefällt sich in der Rolle und spielt gerne das kleine Hündchen, das an der Seite seines Herrn Platz nimmt und schön brav Männchen macht, wenn er es verlangt. In Wirklichkeit gibt es hier nämlich gar kein Oben und Unten, kein Herrschen und Dienen, keinen dominanten Mann und keine devote Frau.

In der Szene gilt nämlich das Prinzip der Einvernehmlichkeit. Das heißt, er darf nur, was sie ihm vorher ausdrücklich zugestanden hat. Er ist also nicht wirklich ihr Herr und Meister, sondern er hat sich an strenge Spielregeln zu halten. Eine davon nennt sich Safeword. Auch das Safeword wird vorher ausgehandelt und es ist gewissermaßen das Stoppschild für ihn. Mit dem Safeword tut sie nämlich kund, dass ihre Schmerzgrenze überschritten ist und er aufzuhören hat. Damit hat sie die Spielregeln in der Hand. Spricht sie das aus, hat er gefälligst die Reitgerte zur Seite zu legen, oder sich zumindest zurückzunehmen.

Das Ganze hat also nicht wirklich mit Dominanz zu tun. Es geht hier gar nicht um Macht und Unterwerfung. Es ist nur ein Spiel. Ein Spiel, bei dem das Hündchen nur zu bellen braucht und der Herr hat sich seinen Wünschen zu fügen. Ein Spiel, bei dem das Weib alle Fäden in der Hand hält und er sich nur herausnehmen darf, was sie ihm zugesteht.

Das erklärt dann auch die teilweise recht lächerlichen Dungeon-Spiele, die in der BDSM-Szene so beliebt sind. Da wird so getan, als würde sie bestraft und gedemütigt. In Wirklichkeit trägt sie aber nur ein paar dekorative Striemen davon, von denen man schon am nächsten Tag nichts mehr sehen wird. Ich selbst habe das nie als erregend oder gar stimulierend empfunden. Es ist für mich genauso lächerlich, wie die gesamte Maskerade, die man in den BDSM-Clubs gerne zur Schau trägt. Nichts daran ist echt. Nichts ist wirklicher Lebensstil. Es ist nur ein Spiel gegen die innere Leere, das ganz schnell wieder ausgespielt ist, sobald die Betreffenden wieder zu Hause sind und dem nächsten tristen Arbeitsalltag entgegensehen.

Wobei die Grenzen zum Spanking fließend sind und so manches Hintern klopfende Paar auch in der BDSM-Szene verkehrt. Auch hier gibt es Frauen, die Spaß daran haben, das böse Mädchen zu spielen, das für sein schlimmes Verhalten übers Knie gelegt wird und bestraft wird. Auch hier ist die Fantasie weitaus größer als die gelebte Wirklichkeit. Und auch hier wird mit Safewords gearbeitet, damit die gespielte Bestrafung nicht etwa zu einer echten Zurechtweisung ausartet. Das Ganze wird dann von Paaren praktiziert, die einen besonderen sexuellen Kick daraus beziehen, der aber im Alltag keinerlei Bedeutung hat. Das heißt, er ist nicht wirklich dominant, sondern tut nur so, wenn beide sich auf ihr Spiel verabredet haben. Dann gibt er den strengen Vater mit dem Gürtel in der Hand und sie das sündige Mädchen, das sein Höschen abstreifen muss. Dann wird sie für ein paar Minuten zu der devoten Frau, die sie in ihrem tiefsten Inneren vielleicht sogar ist und er nimmt die Rolle des männlichen Mannes ein, der er eigentlich gerne wäre.

So richtig lächerlich wird das Ganze aber bei den beliebten "Erziehungsspielen", die in der Szene gerne veranstaltet werden. Da siezten dann sichtbar gealterte Frauen im kurzen Schulmädchen-Outfit auf der Schulbank, und der Lehrer geht mit strengem Blick und dem Rohrstock in der Hand durch die Reihen. Hin und wieder wird auch eine unter gespieltem Protest über die Bank gelegt, um ein paar dezente Striemen auf die Pobacken gezeichnet zu bekommen. Wobei man hier keinen Unterschied macht und durchaus auch männliche Hintern daran glauben müssen. Man kann davon ausgehen, dass die Betreffenden nach der Show kein Problem damit haben werden, auf dem Barhocker Platz zu nehmen. Schließlich hat sie ja das Safeword vor einer echten Bestrafung bewahrt.

Es ist eben nur ein Spiel.

Wobei das natürlich nur meine Sicht der Dinge ist. Aber ich bin ich und andere sind anders. Jeder und Jede darf daher natürlich tun, was der eigenen Psyche guttut und der eigenen Fantasie gefällt. Nur hat das eben mit wirklich dominanten Männern und devoten Frauen nur wenig zu tun. Hier dient die Realität der Vergangenheit lediglich als Kulisse für eine Wirklichkeit, die längst verloren gegangen ist, auch wenn sie in vielen Köpfen nach wie vor präsent ist.