Arabische Erfahrungen
Anne Taylor gab dem arabischen Hotelboy ein paar Münzen in die broncefarbene Hand, die sich ihr erwartungsvoll entgegengestreckte. Sie bemerkte, wie er dabei hastig seine Augen über ihren Körper wandern ließ. Ganz so als wolle er sich in den wenigen kostbaren Augenblicken bis zum Zugehen der Zimmertür so viele Einzelheiten wie irgend möglich von der Anatomie dieser fremden, westlichen Frau einprägen. Wahrscheinlich werde ich in seinen Träumen heute Nacht eine Starrolle spielen, dachte Anne und ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie sah ihn an, direkt und herausfordernd, machte dabei entschlossen die Tür zu und drehte den Schlüssel um.
Sie war in Marrakech. Müde von der langen Flugreise. Verkrampft vom stundenlangen Sitzen im ausgebuchten Touristen-Großraumjet. Völlig verschwitzt und seit Stunden ohne ein Bad genommen zu haben. Alles klebte an ihr. Das dunkelblonde Haar hatte längst seine lockere Fülle verloren und hing strähnig über ihre Wangen.
An einer Wand des recht karg ausgestatteten Hotelzimmers war ein großer Spiegel. Er zeigte eine attraktive Mittzwanzigerin. Naturfarbene Baumwollhosen aus leichtem Material, dem Trend entsprechend weit und bequem geschnitten. Ein luftiges Jäckchen mit dem Namenszug eines berühmten Designers. Darunter eine schlichte, weiße Bluse. Eine Amerikanerin aus Chicago, New York, San Francisco oder Dallas. Ein Yuppie, wie man sie aus den trendangebenden Monatszeitschriften kennt. Unabhängig. Erfahren. Selbstbewußt. Erfolgreich im Berufsleben. Wahrscheinlich Single mit eigener Wohnung und wechselnden Freunden. Und jetzt auf Traumreise ins sagenumwobene Arabien.
Stimmt! Dachte sie beim Anblick ihrer selbst. Stimmt alles, bis auf die Urlaubsreise. Denn als Touristin war sie ganz bestimmt nicht nach Marokko gekommen. Sondern um zu arbeiten.
Sie öffnete die Tür zum nebenliegenden Zimmer, das sich erwartungsgemäß als das Bad erwies, registrierte darin Porzellanwaschbecken, Toilette und die lang ersehnte Dusche, prüfte, ob auch tatsächlich Wasser aus dem Brauseschlauch kam, stellte erfreut fest, daß es sogar warmes Wasser gab und ging daran, sich ihre schweißdurchtränkten Kleidungsstücke vom Leib zu schälen. Es tat gut, die leichte Abendbrise auf der nackten Haut zu spüren und sie dachte daran, was wohl der Hotelboy dafür geben würde, sie jetzt so sehen zu dürfen. Nach längerem Suchen fand sie schließlich die kleine Plastikflasche mit desodorierenden Duschbad im größeren ihrer beiden Koffer und verschwand hinter dem blauen Plastikvorhang der Dusche. Während sie ihre Dusche genoß, dachte sie über den geplanten Ablauf der nächsten Tage nach. Der mäßig starke und launisch zwischen lauwarm und heiß schwankende Strahl des Wassers ergoß sich dabei unermüdlich über ihren Kopf und rann an ihrem Körper herunter um schließlich angereichert mit von ihrer Haut gelöstem Schweiß und Straßenstaub im Abfluß zu verschwinden. Sie war zum arbeiten hier. Die Flugreise und die im Touristen-Pauschalpreis inbegriffene Hotelrechnung waren vom Verlag bezahlt. In spätestens vier Wochen würde man sie in New York zurück erwarten und mit ihr eine Geschichte, die es wert war von Millionen sensationshungriger Magazinkäufer gelesen zu werden. Das Leben einer Journalistin war von ständigem Erfolgszwang bestimmt. Sie hatte es von Anfang an gewußt und vielleicht war es auch genau das, was sie an diesem Beruf immer gereizt hatte. Das und ihre ständige Rastlosigkeit, ihr Verlangen ständig im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie eigentlich nichts angingen, Hintergründe zu erforschen, Überraschendes zu finden. Diese Reise in die völlig fremde und für eine Frau wahrscheinlich nicht ganz ungefährliche Welt der Araber war der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere und zugleich der entscheidende Abschluß einer Story, an der sie jetzt schon seit über einem Jahr recherchiert hatte.
Tropfend naß wie sie war verließ sie die Dusche und legte sich, Beine und Arme entspannt von sich streckend, auf das schon leicht ächzende französische Bett, das den kleinen Raum dominierte. Von draußen drang das alberne Kichern von ein paar jungen Mädchen zu ihr herein. Wahrscheinlich waren es dieselben, die mit ihr im Flugzeug gekommen waren und die jetzt anfingen, ihre kostbaren, abgezählten Ferientage gleich vom Anfang an so ausgelassen wie möglich zu erleben. Anne mußte dabei an ihre Story denken. An das Thema, das sie schon seit Monaten nicht losgelassen hatte, an die vielen noch offenen Fragen und an ihr gewagtes, ja geradezu lebensgefährliches Vorhaben, das soeben, mit ihrer Ankunft im Hotel hier, begonnen hatte. In ihrem Kopf schwirrten Tausende von ungeordneten Gedanken fetzen. Informationen. Überlegungen. Vermutungen. Schlußfolgerungen. Theorien. Sie hatte eine Unmenge Bücher über den vorderen Orient gelesen. Geschichtsbücher. Reiseberichte. Bücher über die schwer durchschaubare politische Situation dieser Region. Und vor allem alles, was sie über Kultur und Lebensweise der Araber finden konnte. Besonders das recht seltsame Verhältnis der Araber zu ihren verschleierten Frauen hatte ihre Aufmerksamkeit gegolten. Denn ihr Magazin wurde schließlich von 43,6 Prozent Frauen gelesen. Und die waren ganz sicher hochinteressiert daran, endlich zu erfahren, wie es wirklich im Privatleben der gerüchteumwobenen und geradezu unmoralisch reichen Scheichs zuging. Und die restlichen 57,6 Prozent an Männern unter den Lesern würden sicher einen voyeuristischen Blick hinter, und vor allem unter, die Schleier des Orients zu schätzen wissen. Anne Taylor hatte vor, jedem das zu geben, was er mit Begeisterung lesen würde. Den Frauen ihre Träume nach Reichtum, Luxus und orientalischer Sinnlichkeit. Den Männern ihre Phantasien um bauchtanzende Schönheiten und schlüsselklirrende Haremswächter. Und ihrem Verleger eine Story, die so einschlug, daß damit nicht nur die Auflage des Magazins, sondern auch ihre eigenen Einkünfte drastisch in die Höhe gehen würden.
Sie wälzte sich herum und griff nach ihrem Flightcase. Die etwas maskulin wirkende braune Ledertasche mit ihren unzähligen Reißverschlüssen, Laschen, Seiten fächern und geschickt verborgenen Innentaschen war mit allem vollgestopft, was sie für ihre bevorstehende Arbeit brauchen würde. Sie entnahm dem schweren Gepäckstück den briefbogengroßen Tandy 100, einem akkubetriebenen Computer mit Schreibmaschinentastatur, eingebautem Flüssigkristalldisplay zur Anzeige von acht Textzeilen und eingebautem Speicher für bis zu sechzehn Seiten. Das dazugehörende Ladegerät für die Akkus schloß sie an die einzige im Raum befindliche Steckdose an, nachdem sie erst umständlich den passenden Steckeradapter gesucht hatte. Sie schaltete den Computer ein, wählte das Programm ADRESS.DO und tippte ein "MARRAKECH". Nach kurzem Flackern hatte sie die Telefonnummer ihres Kontaktmannes in Marokko, der irgendwo in dieser chaotischen Stadt wohnen mußte und der ihr angeboten hatte, sie bei ihren Nachforschungen zu unterstützen.
Sie hob den Hörer des alten Telefonapparates ab, wartete auf die Antwort der Rezeption, die fast eine Minute auf sich warten ließ, und bat die kindlich klingende weibliche Telefonstimme:
"Würden Sie mir bitte eine Verbindung mit herstellen mit 92312345856?"
"Wie war die Nummer?"
Sie wiederholte, las die Nummer noch einmal vom Computerdisplay ab, ganz langsam, damit das Mädchen sie mitschreiben konnte und fügte leicht gereizt hinzu:
"Bitte beeilen Sie sich, Mademoiselle. Es ist dingend."
"Sofort, Madame."
Anne zweifelte, ob die Kleine dort unten wirklich wußte, was die Bedeutung des englischen Wortes Sofort war. Sie richtete sich darauf ein, eine mittlere Ewigkeit auf die gewünschte Verbindung warten zu müssen und entschloß sich, die Zeit dafür zu nützen, um den Inhalt ihrer Koffer in den viel zu kleinen Kleiderschrank des zweitklassigen Hotelzimmers zu zwängen und dabei noch einmal ihr weiteres Vorgehen durchzudenken. Sie hatte nur ganze 4 Wochen in diesem Hotel hier. Bis dahin mußte sie mit der gewünschten Story über Lieben und Leben der Araber fertig sein, um nach New York zurückkehren zu können. Oder sie mußte eine so sensationelle Story in der Tasche haben, daß es auf die Zustimmung des Verlegers nicht mehr ankam.
Der große, bis zum Boden reichende Spiegel reflektierte jetzt nicht mehr die typische Touristin von vorhin, sondern eine schöne jungen Frau in unbekümmerter Nacktheit. Anne hielt von Zeit zu Zeit vor dem stellenweise schon stumpfen Glas an und betrachtete sich selbstzufrieden. Ihre Haut hatte schon lange keine richtige Sonne mehr gesehen und war entsprechend hell im Teint. Vielleicht genau das, was einem braun gebrannten Wüstensohn im Traum vorschwebt, dachte sich sie bei sich und strich dabei liebkosend über ihre vollen Brüste mit den rosafarbenen Mittelpunkten, aus denen sich bei der Berührung sofort zwei feste Türmchen erhoben. Ob die Mädchen und Frauen hier unter ihrer weiten Umhüllung einen Büstenhalter trugen? Ob die Araber auch so auf große Titten fixiert waren, wie die Amerikaner? Anne war sich sicher, bald mehr darüber zu wissen. Sie drehte sich seitlich zum Spiegel, reckte ihre Arme nach oben und faltete sie hinter dem Nacken zusammen. Dabei betrachtete sie zufrieden ihr Profil, streckte provozierend den Po raus, ließ ihn kreisen, etwa so wie sie es beim Bauchtanz gesehen hatte, drehte sich um die eigene Achse, warf einen Blick über die Schulter, um sich auch von hinten ausgiebig betrachten zu können und begann schließlich, eine Reihe obszöner Haltungen einzunehmen, die bestimmt in jedem Männermagazin zufriedene Betrachter gefunden hätten. Zum Schluß stellte sie sich breitbeinig hin und bückte sich, um zwischen den Beinen durchsehen und die volle Ansicht der aufreizend gekräuselten Rose zwischen lichtem, blondem Haar betrachten zu können. Danach wand sich mit gestärktem Selbstbewußtsein ab.
Sie hatte alles, worauf die Männer aus sind. Und diesmal würde sie es voll einsetzen, um ihr Ziel zu erreichen.
Auf dem Schreibcomputer tippte sie ein paar Befehls tasten. Es erschien die UPI-Meldung, mit der vor mehreren Monaten die ganze Sache begonnen hatte. Ganze achtzehn Zeilen Text, aus denen Sie eine mitreißende Story über Liebe, Leidenschaft, Entführung und Mord machen würde. Sie las den Text, wohl schon zum hundertsten Mal.
AMERIKANISCHE TOURISTIN IN ARABISCHEM HAREM. DIE 18J?HRIGE AMERIKANERIN SUSAN SHERWOOD WURDE IN DER NAEHE VON MARRAKECH, MAROKKO, AUFGEFUNDEN. SIE WAR IN EINEM V?LLIG VERWAHRLOSTEN ZUSTAND UND OFFENSICHTLICH MISSHANDELT WORDEN. DEM AMERIKANISCHEN BOTSCHAFTER GAB SIE SPAETER AN, ENTFUEHRT UND AN EINEN IHR UNBEKANNTEN ORT IN DER WUESTE GEBRACHT WORDEN ZU SEIN. SIE BERICHTETE, DORT ZU SEXUELLEN HANDLUNGEN GENOETIGT UND
Das Telefon klingelte. Anne nahm den Apparat, ließ sich in den zerschlissenen Sessel fallen und hob ab. Es meldete sich zunächst das kindliche Mädchen von der Rezeption und schließlich die Stimme, die sie erwartet hatte.
Seine Freunde nannten ihn Hassim. Er war Marokkaner. Moslem. Aber wenn er genauer darüber nachdachte, war er eigentlich mehr in den Vereinigten Staaten zu Hause, als hier in seiner Heimat. Auch wenn er jetzt in der Nähe von Marrakech wohnte. Hassim hatte viele Jahre bei den in den Augen aller Moslems ungläubigen Christen auf der anderen Seite des großen Meeres studiert und gelebt. Er war dabei zum geschätzten Fachmann auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik und Satellitenkommunikation geworden. Er dachte wie ein Amerikaner, er kleidete sich wie ein Amerikaner und, solange er sich auf seinem weitläufigen Besitz einige Meilen außerhalb der Stadt aufhielt, lebte er auch wie ein Amerikaner. Hassim war hier für eine Reihe US-amerikanischer Firmen die entscheidende Kontaktadresse, wenn es darum ging, die marokkanische Regierung zum Kauf hochentwickelter nachrichtentechnischer Geräte zu bewegen. Er war auch der einzige kompetente Mann auf diesem Gebiet und daher als unersetzlicher Berater im Regierungspalast gern gesehen. Seine delikaten Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft ließen sein Haus hin und wieder zu einem Zufluchtsort für einflußreiche Ausländer werden, die von Zeit zu Zeit der allgegenwärtigen strengen Lebensweise dieses Landes entfliehen wollten. Sie machten es aber auch zum Ort erfüllter Träume für zahlreiche einheimischer Politiker und Würdenträger, die als Gegenleistung für ihr Entgegenkommen bei gewissen Entscheidungen im wirtschaftlichen Bereich jederzeit für eine kleine moslemische Sünde empfänglich waren.
Hassim hatte sich die pragmatische, kühle Denkart der Amerikaner angeeignet, ohne dabei seine arabische Schläue und Hintertriebenheit zu verlieren. Er wußte, daß dieses Land ein riesiger Zukunftsmarkt war für elektronische Medien aller Art. Die Araber liebten es, stundenlang vor dem Fernseher zu sitzen um ihre Pferderennen zu verfolgen. Doch das Sendernetz war kläglich dünn. Jeder, der in diesem Land etwas auf sich hielt, hatte ein Telefon im Haus. Doch die Vermittlung war schleppend und unzuverlässig und spielte sich heute noch wie vor fünfzig Jahren ab. Wer es sich leisten konnte, fuhr seine Frauen im chromblitzenden Cadillac durch die Gegend. Doch gute Straßen waren eher die Ausnahme. Hassim sah es als sein Lebensziel an, die Errungenschaften der neuen, modernen Welt ins ehrwürdige, alte Arabien zu tragen. Und er wußte, daß dies nur möglich war, wenn man die richtigen Kontakte pflegte und die richtigen Verhaltensregeln einhielt. Das war es, was ihn für die Amerikaner so wertvoll und für seine Regierung so unersetzlich machte. Denn die Araber legten zwar stets allergrößten Wert auf ihre moslemischen Traditionen, doch irgendwo ganz tief in ihrem Inneren wußten sie sehr wohl, daß sie eigentlich noch im Mittelalter lebten, während die übrige Welt um sie herum die Zukunft bestimmte. Und so war ein Mann, den sie als Moslem akzeptieren konnten und der gleichzeitig einen Fuß in der westlichen Welt hatte, genau das, was sie brauchten. Hassim verstand es glänzend, die beiden Welten miteinander zu verkuppeln, ohne daß dabei unnötige Komplikationen zwischen Koran und Bibel, zwischen tiefverwurzeltem Glauben und überzeugtem Atheismus, in Erscheinung traten.
"Anne Taylor aus New York. Es freut mich, Ihre Stimme zu h?ren. Hatten Sie eine angenehme Reise? Wohnen Sie komfortabel? Wie geht es Ihnen, meine Liebe?" Hassim lehnte sich in seinen wuchtigen Ledersessel zurück und versuchte sich diese Journalistin vorzustellen, mit der er letzten Sommer in San Francisco ein längeres und durchaus interessantes Gespräch geführt hatte. Und die ihn auch zu manch angenehmer Liebesnacht verholfen hatte.
"Mir geht es ausgezeichnet, Hassim. Zumindest jetzt, nachdem ich mir die unerträgliche Hitze und den Staub abgespült habe. Das ist ja ein fürchterlich staubiges Land hier."
"Ja, ja, meine Liebe. Marokko liegt eben da, wo die berühmte, große Dame Sahara anfängt. Aber ich kann Ihnen versprechen, Sie werden noch viele schöne Seiten in diesem Land kennenlernen. Vorausgesetzt Sie erlauben mir, sie Ihnen zu zeigen." Jetzt konnte er sich wieder genau an sie erinnern. Sie hatte einen schönen Busen. Nicht von der aufgeblasenen Sorte, wie die Amerikaner ihn lieben, aber für seinen Geschmack groß genug und vor allem schön fest und hervorstehend. Anne Taylor war damals im Bikini vor ihm gesessen. Damals, am Swimming Pool im Ramada Inn in San Francisco. Ja und beim Aufstehen war ihm aufgefallen, daß sie auch hintenrum genau die Formen hatte, die einen schlaffen Mann auf die Beine bringen. Schön rund und knackig gefüllt war ihm ihr Bikinihöschen in Erinnerung. Leider hatte sie bei ihren späteren Liebesnächten immer darauf bestanden, das Licht auszumachen und so hatte er nie richtig sehen können, wie sie ganz nackt, ohne den letzten Rest von Bikinistoff, aussah.
"Da wir schon beim Zeigen sind. Haben Sie schon etwas für mich tun können, Hassim. Sie wissen, ich habe Sie gebeten..."
Diese Amis sind doch alle gleich, dachte er bei sich, immer denken sie sofort ans Geschäft. Er beeilte sich, ihr ins Wort zu fallen, bevor sie etwas Unpassendes am Telefon sagte. "Aber liebe Anne, nicht so stürmisch. Nur keine Angst. Es ist schon alles in ihrem Sinne vorbereitet. Aber lassen Sie uns das nicht am Telefon besprechen. Wie wär’s wenn Sie gleich morgen zu mir kämen. Ich lasse einen Wagen nach Ihnen schicken und wir könnten in aller Ruhe besprechen, was es Neues gibt. Erlauben Sie mir, mich Ihrer anzunehmen, so lange Sie hier in Marokko sind."
"Das würde mich sehr freuen, Hassim. Aber ich muß erst den amerikanischen Botschafter aufsuchen. Er erwartet mich gleich um neun Uhr. Vielleicht könnten Sie mich dort abholen lassen."
"Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie in meinem Hause begrüßen zu dürfen, Anne." Und nicht nur begrüßen, das verspreche ich dir, du arbeitsgeiles Biest. Wenn du hier weggehst wirst du mehr über die Araber wissen, als dir lieb sein wird. Hassim grinste zufrieden und es fiel ihm ein, daß er ihr besser noch eine Warnung nachschicken sollte.
"Oh ja, Anne, da ist noch etwas."
"Ja, Hassim?"
"Es ist besser, wenn Sie diesem Botschafter nicht sagen, daß Sie mit mir Kontakt haben. Politik und Geschäft erfordern viel Fingerspitzengefühl in diesem Teil der Erde. Ich möchte vermeiden, daß irgend jemand falsche Schlüsse zieht. Vielleicht ist es daher auch besser, wenn ich Sie im Hotel abholen lasse, statt beim Botschafter."
Er konnte gerade noch Annes Zustimmung h?ren, als es wieder einmal in der Leitung zu prasseln anfing und das Gespräch kurz darauf völlig zusammenbrach.
Mittelalterliche Technik, fluchte er und legte den Hörer auf. Es war nichts Außergewöhnliches in diesem Land, daß Gespräche unterbrochen wurden. Ja manchmal hatte man eher das Gefühl, daß es etwas Außergewöhnliches war, wenn sie überhaupt erst zustande kamen. Hassim fühlte sich wieder einmal bestätigt, daß dieses Land unbedingt eine bessere Kommunikationstechnik brauchte.
Er schlenderte aus dem Raum und betrat den kunstvoll angelegten Garten, der die Hauptattraktion seines Wohnsitzes darstellte. Sein Blick schweifte über die zinnenbewehrte Mauer bis weit in die schroffen Felsformationen des hohen Atlasgebirges. Die Luft strahlte noch immer die trockene Hitze des Tages aus, die charakteristisch für diese Gegend war. Doch in weniger als einer Stunde würde bereits stockdunkle Nacht sein und mit der Nacht würde auch die Kälte kommen, eine unangenehme Kälte, wie sie sich der Fremde in einem Land, wie Nordafrika kaum vorstellen konnte.
Hassims Wohnsitz stellte ein altes Kastell dar, das schon vor Jahrhunderten auf die flache Kuppe eines felsigen Bergkegels gebaut worden war. Einst von den Spaniern erbaut, später im spanisch-marokkanischen Krieg zerstört und nie wieder aufgebaut, hatte er es als einen geradezu idealen Ort gefunden, von dem aus er seine Geschäfte dirigieren konnte, ohne allzusehr aufzufallen. Er hatte die massiven, meterdicken Mauern behutsam renovieren lassen, in ihrem Inneren war nach seinen Plänen eine modern und komfortabel ausgestattete Wohnanlage entstanden und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem hatte es sogar möglich gemacht, eine üppige Fülle von tropischen Pflanzen zu züchten. Von ferne deutete nichts darauf hin, daß in dieser scheinbar heruntergekommenen Ruine wieder Menschen wohnten. Ungebetene Zaungäste waren daher selten zu befürchten und wenn, dann sorgte eine kleine, aber hochgradig bewaffnete und erstklassig ausgebildete Sicherheitstruppe dafür, daß die Privatspäre gewahrt blieb. Und das war absolut notwendig, denn für so manchen Besucher des Kastells wäre es äußerst peinlich, wenn die glaubensstrenge Öffentlichkeit erfahren würde, womit sich die Gäste eines gewissen Hassim die Zeit vertrieben.
Hassim rief einen seiner Vertrauten zu sich, beauftragte ihn, morgen pünktlich Miss Taylor abzuholen und gab ihm genaue Instruktionen, wie er vorzugehen habe.
"Laß dir vom Hotelboy die Schlüssel geben, geh rauf und pack ihre Koffer. Sorg dafür, daß wirklich nichts im Zimmer zurückbleibt, wenn ihr vom Hotel wegfahrt. Sie ist auf meine Anweisung hin nicht in der Meldeliste eingetragen worden. Dadurch kann auch niemand nachweisen, daß sie je im Marrakech Paradiso gewohnt hat. Es ist bereits alles abgesprochen, du wirst ungehindert deine Arbeit tun können. Aber achte ganz besonders darauf, daß sie auch nicht den leisesten Verdacht schöpft. Denk daran, es muß alles so aussehen, als ob sie nur ein Paar Tage wegfährt, um einen guten Freund zu besuchen."
"Sie können sich auf mich verlassen."
"Du hast mein ganzes Vertrauen. Aber...", er senkte seine Stimme und fuhr im vertraulich gedämpften Ton fort, "...denk daran. Sie ist ein Gast unseres Hauses und geniest alle Vorrechte eines Gastes. Zumindest für den Anfang."
Der Mann, ein junger Araber mit braungebranntem, muskulösem Körper, entfernte sich und wenig später war ein Toyota Landcruiser zu h?ren, der sich im Schrittempo den steilen, unbefestigten Weg hinab in die Ebene quälte und nach einiger Zeit eine gewaltige Staubwolke hinter sich herziehend am Horizont verschwand.
Das Kastell lag zwar weit abseits der großen Verkehrswege im Niemandsland der marokkanischen Steinwüste, aber es war dennoch nur fünf Stunden von Marrakech und damit fünf Stunden vom nächsten internationalen Flughafen entfernt. Außerdem bestand die Möglichkeit, direkt innerhalb der dicken Mauern mit einem kleinen Hubschrauber zu landen. Eine Möglichkeit, die viele Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Religion und Politik dankbar wahrnahmen, denn solche Leute haben selten viel Zeit, aber immer die Möglichkeit zwischen zwei wichtigen Terminen eine Nacht zum rein persönlichen Vergnügen einzuschieben.
Die Wohnanlage Hassims bestand aus einer großen Anzahl geschickt ineinander verschachtelten kleinen Häusern im maurischen Baustil mit verbindenden Rundbögen und gleißend weiß verputzen Außenwänden, die sich an die mächtige Außenwand aus solide vermauertem Naturgestein schmiegten und freien Blick auf die wunderschöne, zu jeder Jahreszeit üppig blühende Parkanlage boten. Das Ganze ruhte auf einem massiven Steingewölbe, welches noch Teil der ursprünglichen Befestigungsanlage war und aus zahlreichen unterschiedlich großen Räumen bestand, die durch verwinkelte Gänge miteinander verbunden waren. Dort unten lagerten immense Vorräte an Lebensmitteln, die in dem kühlen Klima lange ihre Frische behielten. Dort befanden sich die notwendigen Waffen und Ausrüstungsgegenstände. Dort befand sich die gesamte technische Ausstattung und Energieversorgung für das Kastell. Und dort unten gab es auch eine Reihe fest verriegelter Verließe mit massiven Eisenstäben davor. Ein Teil der Befestigungsanlage hatte Fenster nach außen. In diesem Teil war das gesamte bedienende Personal untergebracht, das strikten Befehl hatte, sich stets so zu verhalten, als sei es eigentlich gar nicht anwesend. Der größte Teil des Personals bestand aus blutjungen Mädchen, die der Kenner Arabiens sofort zu den Beduinentöchtern des Landes zählen würde. Sie waren allesamt ausgesucht hübsch und standen unter der strengen Aufsicht einiger älterer Araberfrauen. Außerdem gab es einige junge Knospen aus Schwarzafrika mit spitzen, harten Brüsten und ausladenden Hinterteilen, mehrere mandeläugige Orientalen von zierlicher Statur und natürlich eine ständige Auswahl an schlank gewachsenen und ausnahmslos blonden Europäerinnen. Allgegenwärtige männliche Wächter sorgten dafür, daß alles getan wurde, damit der Herr des Hauses zufrieden war und seine ständig wechselnden Gäste sich wohlfühlten.
Hassims Privatgemächer waren organisch in die gesamte Wohnanlage eingebettet, konnten jedoch nur über einen speziellen Eingang erreicht werden und grenzen unmittelbar an das einzige größere Bauwerk an, das den gesellschaftlichen Mittelpunkt der gesamten Anlage bildete und im Wesentlichen aus einer großen Säulenhalle bestand, die bis zu einhundert Gäste aufnehmen konnte. Hier kam man zusammen, um unter Männern zu plaudern. Hier gab es Tanzvorführungen. Hier traf man sich zu üppigen Festgelagen. Hier wurde so manche wichtige Entscheidung für das Land getroffen oder zumindest im Sinne Hassims und seiner Freunde und Geschäftspartner vorbereitet.
"Miss Taylor, Sie machen sich völlig falsche Vorstellungen von diesem Land." Der Botschafter saß hinter seinem eindrucksvollen Mahagonischreibtisch und bemühte sich, die Journalistin spüren zu lassen, daß sie für ihn nur ein lästiges dummes Mädchen war, das einfältige Fragen stellte. "Hier kann man nicht einfach zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Für einen Ausländer, einen Ungläubigen würde sich hier kein Polizist die Finger schmutzig machen. Und...", er beendete den Satz mit einem ironischen Lächeln, wobei er ihr herausfordernd in die Augen sah, "...für eine Frau erst recht nicht."
"Aber es handelt sich hier um amerikanische Staatsbürger. Und ganz offensichtlich steckt organisiertes Verbrechen dahinter, wenn in einem Jahr allein vierzehn Personen auf ungeklärte Weise verschwinden. Haben Sie als Vertreter der Vereinigten Staaten nicht die Aufgabe und Pflicht, energisch gegen diese Vorgänge zu protestieren?"
"Ich habe, Miss Taylor. Und ich kann Ihnen versichern, daß die amerikanische Botschaft ihr Bestes tut, um die Sache zu klären aber..."
"Weshalb hat es noch nicht eine einzige offizielle Protestnote an die Regierung gegeben?" Anne Taylor war wieder ganz in ihrem Element. Den Gesprächspartner aus dem Gleichgewicht bringen, seine wohlüberlegten Formulierungen stören und dadurch unüberlegte Äußerungen provozieren. Sie beherrschte ihr Handwerk und war entschlossen, mehr aus diesem selbstgefälligen Botschafter ihres Landes herauszuholen. Zumindest mehr als er bereits in den offiziellen Pressemeldungen von sich gegeben hatte.
"Die Vereinigten Staaten haben kein Interesse daran, das einigermaßen gute Verhältnis mit diesem arabischen Land aufs Spiel zu setzen."
"Nicht wegen ein paar Touristinnen, meinen Sie."
"Ich meine, daß es höhere, wichtigere wirtschaftliche und politische Interessen gibt. Und so lange das Problem keine größeren Dimensionen annimmt..."
"Sie meinen, solange man die Sache als bedauerliche Einzelfälle herunterspielen kann..."
"...so lange werden wir uns zwar bemühen, an die entsprechenden politischen Stellen unseres Gastlandes zu appellieren, aber wir sehen noch keine Rechtfertigung, eine hochoffizielle Sache daraus zu machen."
"Haben Sie wenigstens irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen getroffen, damit solche ominösen Entführungen in Zukunft ausgeschlossen sind?"
"Wir haben auch hier getan, was möglich ist. Wir haben die Reiseveranstalter gebeten, ihre Kunden darauf hinzuweisen, daß es bestimmte Dinge gibt, die man als Frau in einem arabischen Land ganz einfach vermeiden muß. Aber wir können natürlich nicht hinter jede amerikanische Touristin einen CIA-Mann stellen, der sich um ihre Sicherheit kümmert." Die Stimme des Botschafters klang jetzt unüberhörbar gereizt und Anne wußte, daß sie es bald geschafft hatte, das Gespräch für sich zu gewinnen. Der massive Mann lehnte sich in der Suche nach psychischem Halt in seinen moosgrünen Ledersessel zurück und steckte sich eine Zigarre an. Als die ersten dicken Rauchschwaden ihren aromatischen Duft im Raum ausbreiteten, drückte er auf den Knopf der Sprechanlage vor sich und bestellte im Vorzimmer ein paar Erfrischungsgetränke. Dann stand er langsam auf, ging zu einem verschlossenen Stahlschrank, suchte umständlich in seinen Taschen nach dem Schlüssel, öffnete das Sicherheitsschloß und holte einen dicken blauen Plastikordner heraus.
"Bitte, Miss Taylor," er deutete auf eine großzügige Ledersitzgruppe, "nehmen wir doch hier Platz. Ich werde Ihnen etwas zeigen."
Ein Botschaftsangesteller brachte eine Auswahl exotischer Fruchtsaftgetränke.
"Wie Sie sehen, halten auch wir uns hier an den islamischen Brauch, keinen Alkohol zu trinken. Jedenfalls offiziell. Bitte bedienen Sie sich." Er bemühte sich um einen freundschaftlichen, fast vertrauten Ton und öffnete die Mappe, die den Aufdruck trug: "For Internal Use Only".
"Hier drin befinden sich die Namen von nicht weniger als einhundertdreiundzwanzig amerikanischen oder europäischen Mädchen, die im Laufe der vergangenen vier Jahre nach Marokko kamen, um ein paar Tage Urlaub zu machen und seither nie wieder gesehen wurden. Alle jung und außergewöhnlich hübsch und auffallend viele davon blond."
Er blätterte langsam Seite für Seite um und Anne sah Paßfotos von ausnahmslos bildhübschen Mädchen, Protokolle, Briefe von besorgten Angehörigen, Anfragen von Rechtsanwälten und hier und da einige Schriftstücke in arabischer Sprache.
"Hier, Pratricia Harris, dreiundzwanzig Jahre alt, ledig, Amerikanerin. Oder hier, Petra Strasser, neunzehn Jahre alt, ledig, Deutsche. Oder hier, Angelique Bertrand, zweiundzwanzigjährige Studentin aus Lyon. Wie Sie sehen ist das Problem nicht nur ein amerikanisches Problem. Es verschwinden regelmäßig, und zwar fast jede Woche, Mädchen und junge Frauen aus den Touristenhotels und Ferienbungalows an der Atlantikküste. Amerikanerinnen, Deutsche, Engländerinnen, Französinnen, Italienerinnen, Schweden. Immer sind sie ohne männliche Begleitung verreist und in den meisten Füllen haben sie sich auf ein Abenteuer mit Einheimischen eingelassen."
Der Botschafter lehnte sich gewichtig zurück und genoß sichtlich den betroffenen Gesichtsausdruck seiner Besucherin.
"Wahrscheinlich leben einige von ihnen heute in stummer Verzweiflung bei irgendeinem wohlhabenden Marokkaner. Als exotische Zweit-, Dritt-, Viertfrau. Vielleicht ist die eine oder andere sogar glücklich dabei geworden. Aber die Meisten tun wahrscheinlich in irgendeinem noblen Bordell ihren Dienst und hoffen darauf, daß eines Tages einmal ein Europäer kommt und sie aus ihrer Lage befreit."
"Es dreht sich also um organisierten Menschenhandel. Um Sklaverei in zwanzigsten Jahrhundert."
"Das ist die einzig richtige Bezeichnung."
"Aber was tun die örtlichen Behörden dagegen?"
"Nichts."
"Einfach nichts?"
"Miss Taylor, Sie müssen das so sehen. Marokko ist ein modernes und zivilisiertes Land, in dem es nur gläubige Moslems gibt. Und in einem zivilisierten, gläubigen Land gibt es kein Verbrechen und damit auch keinen Menschenhandel. Kein Regierungsbeamter würde Ihnen etwas anderes sagen. Und ein Problem, das offiziell nicht existiert, muß man auch nicht bekämpfen."
"Wäre es dann nicht gut, wenn die Weltöffentlichkeit von diesen Vorgängen erfährt? Es müßte doch gelingen, mit einem der zahlreichen Mädchen Kontakt aufzunehmen. Man müßte doch wenigstens eine von ihnen aus dem Land herausbringen können, sozusagen als Beweis, den niemand entkräften kann." Annes Reporterinstinkt war erwacht. Sie sah sich schon als die große Journalistin, die einen der letzten Skandale unserer Zeit enthüllt hatte. Sie fühlte, daß sie ganz nah an ihrem Thema war. Sie roch förmlich die Fährte und sie war entschlossen, sie aufzunehmen.
"Die Sache hat noch eine andere Seite." Der Botschafter sah seine Gesprächspartnerin lange nachdenklich an und suchte nach der passenden Formulierung. Sie war hübsch. Sie war sogar blond, etwas was bei den Arabern als ganz besonderer Leckerbissen angesehen wird. Und sie hatte offensichtlich keine Hemmungen, sich in Gefahr zu begeben. Er durfte nichts tun, was irgend wie auf ihn zurückfallen könnte. Er konnte sie höchstens auf die richtige Spur setzen und sie im Auge behalten lassen. Damit sie nicht unter irgendeinem Schleier verschüttgehen konnte.
"Politik und Geschäft erfordern viel Fingerspitzengefühl in diesem Land. Und wie ich eingangs erwähnte sind die wirtschaftlichen Interessen Amerika eine Spur wichtiger anzusehen, als das persönliche Schicksal von ein paar unvorsichtigen Touristinnen."
"Das habe ich schon einmal gehört, ohne da? es mich sonderlich überzeugt hat."
Anne spürte den fragenden Blick des Botschafters, ging aber mit keinem weiteren Wort darauf ein. Sie spürte, daß er ihr etwas zu sagen hatte.
"Unser Geheimdienst ist nicht untätig geblieben. Das Problem ist nur, daß wir bei unserer Arbeit zu der Erkenntnis gelangt sind, daß die Drahtzieher und vielleicht auch die Nutznießer in diesem Geschäft, das wir normalerweise Kidnapping nennen, in höchsten Regierungskreisen sitzen. Und daß auch unsere eigenen Landsleute nicht ganz saubere Finger haben."
"Sie meinen Amerikaner haben ihre Hände..."
"...Ich meine gar nichts. Ich weiß nur, daß man mit den Arabern nur Geschäfte machen kann, wenn man durch alle Instanzen hindurch fleißig Bakschisch verteilt. Und ab einer bestimmten Hierarchie ist Geld allein kein ausreichender Anreiz mehr. Da müssen dann schon andere Reize geboten werden."
"Ich verstehe." Anne spürte, da? der Botschafter ihr eine Nachricht zukommen lassen wollte, aber nicht zu deutlich dabei sein konnte. Sie beschloß, seine Worte später genauer zu analysieren.
"Haben Sie nicht schon Kontakt aufgenommen mit einem gewissen Hassim?"
Anne blickte verwundert auf. "Woher wissen Sie, daß ich mit ...?"
"Reden wir nicht über das Woher und Wie. Ich möchte Sie nur warnen, Miss Anne Taylor. Dieser Hassim ist nicht ungefährlich. Er ist ein einflußreicher Mann hier. Ich hoffe, daß Ihre Recherchen nicht anders verlaufen, als Sie es sich vorgestellt haben. Denn wenn Sie erst einmal in der Höhle des Löwen sind, kann Ihnen niemand mehr helfen." Der Botschafter stand auf und legte den Aktenordner wieder an seinen Platz im Stahlschrank zurück. Auf dem Weg dorthin fügte er wie beiläufig hinzu:
"Aber Sie haben schon recht. Hassim ist nicht uninteressant für ihre Story. Und wenn Sie in Ihrer Sache weiterkommen wollen, müssen Sie zwangsläufig ein gewisses Risiko eingehen."
Der Rest des Gespräches verlief eher belanglos und so war Anne Taylor wie geplant schon wieder im Hotel, als das Telefon klingelte und die kindliche Stimme von der Rezeption den Besuch eines jungen Herrn ankündigte, der die amerikanische Lady abzuholen wünsche.
Anne packte schnell das nötigste in den kleineren ihrer beiden Koffer, hängte sich die schwere Tasche mit ihrer technischen Ausrüstung um und ging nach unten.
Sie traf den jungen Araber in der Hotelbar. Er war westlich modern gekleidet, begrüßte sie freundlich und nahm ihr zuvorkommend das Gepäck ab, um dem Boy aufzutragen, es in dem draußen wartenden Land Cruiser zu verstauen. Dann wechselte er ein paar Worte in Arabisch mit dem Mädchen an der Rezeption, die ihm daraufhin mit gelangweilter Mine irgend etwas aushändigte.
"Bitte entschuldigen Sie mich für einen ganz kleinen Augenblick, Miss Taylor. Ich stehe sofort wieder zu Ihrer Verfügung. Wir können in wenigen Minuten abfahren."
Sein Blick war freundlich und vertrauenerweckend. Sein Körper machte einen muskulösen, männlich starken Eindruck. Anne folgte ihm mit ihrem Blick, bis er durch die Eingangstür verschwunden und draußen das Geländefahrzeug bestiegen hatte. Sie empfand eine gewisse Sympathie für den jungen Mann. Doch er war Araber und irgendwo, ganz tief in ihrem Inneren tickte eine leise Warnung. Sie dachte an die Kontaktadresse und Telefonnummer, die ihr der Botschafter gegeben hatte. "Wenn Sie in echte Schwierigkeiten geraten", hatte er dabei gesagt.
Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis der junge Araber wieder erschien.
Die Fahrt war wirklich anstrengend gewesen. Sie hatte nahezu den ganzen restlichen Tag gedauert und Anne glaubte, jeden Knochen in ihrem Körper spüren zu können. Der Staub schien in jeder Pore ihrer Haut zu stecken. Ihr Kopf dröhnte vom endlosen Gepolter in dem unbequemen Fahrzeug. Und sie hatte großes Verlangen nach einem Bad.
Doch zuerst verschlug es ihr einmal den Atem. Die miserablen Straßen. Der kegelförmige Berg. Das scheinbar verfallene Kastell. Und jetzt das hier.
Als das schwere Eisengitter sich gehoben und der Geländewagen mit dröhnendem Dieselgeknatter durch den Rundbogen des großen Tores gefahren war, war es ihr erschienen, als hätte man sie plötzlich in eine völlig andere Welt versetzt. Vor ihren Augen breitete sich ein üppig blühender Garten mit einer Vielzahl ihr zumeist unbekannter tropischer Gewächse aus. In der Mitte gab es sogar einen Springbrunnen. Das alles war eingerahmt von malerischer, weiß rötlich in der schon untergehenden Sonne gleißender maurischer Architektur und der mächtigen Natursteinmauer, über die der Blick bis weit in den hohen Atlas reichte. Anne Taylor war fasziniert. Sie hatte das Gefühl, in ein Paradies versetzt worden zu sein. Sie stand lange da und betrachtete die überraschende Szenerie.
"Willkommen, meine Liebe." Hassim kam mit einem breiten Lächeln auf sie zu. "Willkommen in meinem Paradies in der Wüste. Dein Weg war beschwerlich, aber du wirst sehen, er hat sich gelohnt."
Er führte Anne einen langen Säulengang entlang und zeigte ihr Domizil, in dem sie die nächste Zeit verbringen sollte. Drinnen befand sich bereits ihr Gepäck. Die Tasche mit ihrer Ausrüstung. Der kleine Alukoffer. Und, zu ihrem Erstaunen, auch der große Samsonite, den sie eigentlich im Hotel zurückgelassen hatte.
"Du wirst hier draußen viel ungestörter an deiner Story arbeiten können, als im Hotel. Deshalb habe ich mir erlaubt, gleich dein ganzes Gepäck mit hierher bringen zu lassen. Ich bin überzeugt, du hast nichts dagegen."
Anne spürte wieder das leise warnende Ticken irgendwo ganz tief in ihrem Inneren. Der Gedanke, daß dieser Hassim sie so ganz einfach bevormundete, gefiel ihr gar nicht. Doch sie war jetzt viel zu müde, um darauf einzugehen. Und eigentlich fühlte sie sich auch sehr wohl hier.
"Ist das die berühmte arabische Gastfreundschaft, Hassim?"
"Andere Länder, andere Sitten, Anne. Denk nicht darüber nach. Mach es dir einfach bequem hier. Es steht alles zur Verfügung. Das Schlafzimmer ist hier nebenan, das Bad ist dort hinten und wenn du einen Wunsch hast, dann heb einfach den Hörer ab." Er sah sie lange an, nickte schließlich zustimmend und fügte lächelnd hinzu:
"Du siehst noch genauso schön aus, wie letztes Jahr. Ja hier in meinem Haus kommt es mir vor, als seist du sogar noch viel schöner geworden."
Sie erwiderte seinen tiefen, unergründlich arabischen Blick mit schelmischem Lächeln und sagte:
"Nur nicht so stürmisch, mein Freund. Denken Sie daran, ich bin aus rein beruflichem Interesse hier." Anne wußte, daß es nicht sehr überzeugend klang.
Hassim wandte sich ab, ohne auf ihre Worte einzugehen, drehte sich aber an der Tür noch einmal um und sagte, mit Blick auf ihre khakifarbenen Baumwollhosen mit den unzähligen praktischen Taschen, die sich jetzt in einem ziemlich zerknitterten Zustand befanden:
"Eines solltest du noch wissen, meine Freundin. Es ist bei uns nicht ?blich, daß die Frauen Männerbekleidung tragen. Bitte sei daher so lieb und zieh etwas Hübsches an. Ich erwarte dich in einer Stunde zum Abendessen. Mach dich inzwischen frisch, nehme ein Bad und ruh dich etwas aus."
Sie wollte noch etwas keckes sagen, aber er war schon verschwunden und sie war allein in der höhlenartigen Wohnung mit ihren grob verputzten Wänden, die eine angenehme Kühle verbreiteten. Durch die große, unverglaste Öffnung bot sich ihr ein herrlicher Ausblick auf den märchenhaft schönen Garten. Sie hatte kaum ihre beiden Koffer geöffnet, um mit dem Auspacken anzufangen, als es verhalten an der Tür klopfte und zwei junge, arabische Mädchen hereinkamen.
Die Beiden mochten noch keine sechzehn Jahre alt sein, obwohl man sich da bei den Frauen hierzulande leicht verschätzen konnte. Sie trugen beide den gleichen fließend leichten und fast durchsichtigen Umhang der ihre jungen Körper nur auf den ersten Blick verhüllte, beim näheren Hinsehen jedoch kleine, wippende Brüste und voll entwickelte weibliche Konturen erkennen ließ. Darunter waren sie mit den ?blichen luftig weiten Pumphosen bekleidet.
Es waren zwei recht Kleinwüchsige Mädchen mit üppig ausgeformten Körpern und dem charakteristischen schmutzigbraunen Hautton der Araber. Sie entsprachen zwar nicht unbedingt dem westlichen Ideal, aber sie waren auf ihre eigene, typische Weise makellos schön.
Die beiden lächelten unschuldig verlegen und gingen sofort daran, die ihnen offensichtlich von ihrem Hausherrn aufgetragenen Aufgaben wahrzunehmen. Während die eine im Badezimmer verschwand und sich um die Vorbereitung von Annes Bad kümmerte, half die andere dem Gast des Hauses beim Entkleiden. Wenig später fand sich die junge Journalistin in einer großen, ovalen und reichlich ornamentierten Badewanne mit wohlig warmen und angenehm duftendem Wasser wieder. Sie genoß die willkommenen Dienste geschickter Hände. Sie wurde von Kopf bis Fuß vom Staub der unbequemen Reise gereinigt, wobei man sich auch penibel um die intimen und um die weniger ehrenhaften Körperpartien kümmerte. Sie wurde mit wohlriechenden Essenzen eingerieben. Sie wurde sorgfältig abgetrocknet und schließlich mit allen Raffinessen orientalischer Kunst zu einer schönen, begehrenswerten, jungen Frau hergerichtet, wie sie es selbst wohl nie fertiggebracht hätte. All das geschah, ohne daß ein Wort gewechselt wurde und eine Stunde nach ihrem Eintreffen in der verwirrenden und zugleich berauschenden Traumwelt des Kastells war Anne Taylor bereit, mit dem Herrn des Hauses zum gemeinsamen Mahl zu zusammenzutreffen.
"Es ist bei uns eigentlich nicht ?blich, daß die Männer gemeinsam mit den Frauen speisen." Hassim lächelte wieder auf die undurchschaubare Art, wie nur Araber zu lächeln vermögen. "Aber bei meiner Freundin Anne Taylor kann man da wohl eine erlaubte Ausnahme machen. Schließlich sind Sie ja aus rein beruflichen Gründen hier und somit nach unserem Verständnis gewissermaßen mit einem Mann gleichzustellen."
Anne erwiderte das Lächeln ihres Gastgebers und ignorierte die ironisch klingende Anspielung. Sie gab sich gespielt kühl. Sie achtete auch nicht darauf, daß er sie ganz ungeniert abschätzend anstarrte, wobei seine Augen besonders auffällig an der Stelle verharrten, wo sich das fließend weiche Material ihres eleganten Abendkleides teilte, um einen großzügigen Blick auf den Ansatz ihrer vollen Brüste zu erlauben. Sie wußte, daß das Kleid sehr gewagt geschnitten war. Und sie hatte es mit voller Absicht für ihren ersten Abend mit Hassim gewählt. Es sollte gewissermaßen ein Versprechen darstellen. Ein Zeichen, daß sie durchaus bereit war, ihn zu belohnen, wenn er ihr bei ihrer Arbeit behilflich war. Denn Anne war nicht nur Journalistin mit Leib und Seele. Sie war auch eine Frau, die sich ihrer Wirkung auf die Männer genau bewußt war und die nichts dagegen hatte, auch ihren Körper als Werkzeug einzusetzen, wenn sie das Gefühl hatte, dadurch die Leiter des Erfolgs eine Sprosse weiter nach oben zu kommen.
"Tun Sie sich keinen Zwang an, Hassim? Ich bin es gewohnt, da? die Männer mich so ansehen."
Es war eine Flucht nach vorn. Provozierend. Eiskalt kalkuliert. Und mit dem selbstbewußten Ton ausgesprochen, zu dem wahrscheinlich nur eine emanzipierte Frau des Westens einem Mann gegenüber fähig ist.
Das Auftragen der Speisen verhinderte eine unmittelbare Erwiderung. Doch Annes reportergeschürfter Aufmerksamkeit war nicht entgangen, wie sich Hassims Gesichtszüge bei ihrer Bemerkung leicht verhärtet hatten und seine Lippen eine Spur schmaler geworden waren.
Die beiden jungen Mädchen, die mit dem Servieren des üppigen Mahls beschäftigt waren, taten dies mit sorgfältigen Handgriffen und unterwürfig gesenktem Blick. Sie schienen dabei allein die Anwesenheit ihres Herrn wahrzunehmen und bedienten die fremde weiße Frau mit unübersehbarer Gleichgültigkeit. Anne spürte eine gewisse undefinierbare Spannung, die sich zwischen dem wartend zurückgelehnten Mann und seinen beflissenen Dienerinnen befand. Ihre Empfindungen nahmen den harten Hauch der Macht und die hilflose Leere der Abhängigkeit wahr, die dieser Augenblick zum Ausdruck brachten. Sie spürte instinktiv, daß es in diesem Haus mehr abspielte, als der aufwendige Lebensstil eines reichen Arabers vermuten ließ.
"Wenn Sie eine Araberin wären, hätte ich Sie für diesen Aufzug auspeitschen lassen."
Annes Unbehagen nahm schlagartig zu. Sie spürte ein alarmierendes Ticken in der Magengegend. Sie hatte ihren Gegenüber herausgefordert. Doch statt verlegen zu werden, wie sie es von jedem anderen Mann gewohnt war, zeigte dieser Araber sich völlig Herr der Lage. Er blickte sie unverändert freundlich an. Aber Anne war klar, daß diese Worte nicht ironisch, humoristisch oder spöttelnd gemeint waren. Sein Gesichtsausdruck sagte unmißverständlich, daß er meinte, was er gesagt hatte und erste Anzeichen von Angst breitete sich in der jungen Journalistin aus. Angst, die von der Erkenntnis genährt wurde, daß sie hier draußen in der felsigen Wildnis diesem Mann und seiner offensichtlich weitreichenden Macht völlig ausgeliefert war. Sie spürte, daß sie sich in ihm verkalkuliert hatte und beschloß, ab sofort auf der Hut zu sein.
Die Mahlzeit, die ohne Zweifel für den anspruchslosen Gaumen einer Amerikanerin ein überwältigendes Erlebnis darstellte, verlief in höflicher Freundlichkeit bei belanglosen Gesprächsthemen, die erst nach langer Zeit allmählich wieder zu dem Grund zurück führten, der Anne Taylor eigentlich nach Marokko geführt hatte.
"Was wissen Sie über das Verschwinden amerikanischer und europäischer Touristinnen?"
"Meine liebe Freundin. Sie sind noch recht jung und in vielen Dingen des Lebens unerfahren. Sie haben noch nicht begriffen, daß es in anderen Ländern andere Vorstellungen von Recht und Unrecht, andere Auffassungen von Moral und Unmoral, andere Gesetze und andere Strafen gibt. Ihnen fehlt gänzlich das Wissen darüber, was die Menschen hier im hohen Atlas von denen in den Appalachen oder den Rockies unterscheidet, was den wirklichen Unterschied zwischen einem Beduinen und einem amerikanischen Cowboy ausmacht. Sie kommen einfach hierher mit ihren westlichen Vorstellungen von der Gleichheit zwischen allen Menschen, von der Gleichheit zwischen Männern und Frauen und meinen, danach auch uns Araber beurteilen zu können."
"Aber gibt es nicht grundsätzliche Maßstäbe, die..."
"Ich will Ihnen einmal etwas sagen, meine Liebe." Hassim unterbrach die zu einem eifrigen Interview anhebende Journalistin ungeduldig und streifte sie mit einem geringschätzigen Blick. "Ich habe Ihnen nicht meine Hilfe und Gastfreundschaft angeboten, um mit Ihnen sinnlose Diskussionen zu führen. Ich habe sie nicht auf meinen Privatbesitz eingeladen, weil ich einer amerikanischen Reporterin zur Story ihres Lebens verhelfen wollte. Ich habe das alles schlicht und einfach getan...". Er hielt abrupt inne, stand auf, ergriff die gespannt auf seine Worte konzentrierte Anne Taylor, zog die völlig überraschte junge Frau zu sich hoch, bevor sie überhaupt zu irgendeiner Reaktion fähig war, und riß ihr mit einem kräftigen Ruck das kostbare Abendkleid entzwei, so daß sie mit entblößten Brüsten und einem haltlos an ihr hängenden Stoffetzen dastand und ihn mit entsetzt geweiteten Augen ansah. Dann stieß er sie mit feuerspeiendem Blick von sich und fuhr mit deutlich erhobener Stimme fort:
"Ich bin auf das Journalistengehabe einer zickigen Amerikanerin wie du es bist, nur aus einem einzigen Grund eingegangen. Nämlich, weil mir dein Arsch und deine Titten gefallen haben und weil mir die Idee kam, dir eine Lektion zu erteilen, die du dein ganzes Leben lang nicht vergessen wirst."
Er rief mit schriller Stimme etwas in Arabisch, worauf augenblicklich zwei stämmige Wärter hereinstürzten und den bis dato mit aller Höflichkeit behandelten Gast unsanft an den Armen packten. Bevor sie die junge Frau hinausführten, sagte Hassim noch in völlig ruhigem und selbstsicherem Ton:
"Ich könnte dich jetzt tatsächlich auspeitschen lassen. Aber ich habe Besseres mit dir vor."
Anne Taylor hatte viel zu sehr mit ihrem Schock und einer alles lähmenden Angst zu kämpfen, als daß sie hätte in irgendeiner intelligenten Form reagieren können.
Als sie aufwachte, am nächsten Morgen wie sie annahm, war sie zum wiederholten Mal innerhalb kürzester Zeit in eine andere Welt versetzt worden.
Der Raum, in dem sie sich jetzt befand, war deutlich spartanischer ausgestattet, als ihr Domizil vom Vortag. Genau genommen bestand er aus nichts anderem, als aus einem knarrenden Bett, einem kleinen Tischchen mit einem einfachen Hocker davor und nackten, weißgekalkten Wänden. Auf dem Tischchen stand ihre Tasche mit dem Tandy 100, dem Minicassettenrecorder, den sie immer bei sich führte und der ihr auch als Computer-Datenspeicher diente, sowie ein Vorrat an Tonbandcassetten und Batterien. Ihr sonstiges Gepäck war nirgends zu sehen.
Anne bemerkte, daß man sie entkleidet hatte und sie völlig nackt auf dem unbequemen Bett lag. Sie bemerkte auch, daß der Raum eine massive Tür hatte, der man schon auf dem ersten Blick anzusehen schien, daß sie von außen fest verriegelt war. Und daß das einzige Fenster mit massiven Eisenstäben vergittert war.
Von draußen fanden die ersten Strahlen der grellen Wüstensonne ihren Weg in das noch angenehm kühle Innere des Raumes. Anne spürte eine leichte Benommenheit, die sofort zu Schwindelgefühlen führte, als sie sich aufrichtete. Dieser Araber mußte ihr etwas in das Essen getan haben, um sie einzuschläfern. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb sie nicht fähig gewesen war, sich zur Wehr zu setzen, als er grob zu ihr geworden war.
Sie verspürte das Bedürfnis, zu urinieren und fand einen verbeulten Blechkübel, der seinen angestammten Platz unter dem Bett zu haben schien und dessen Geruch zu erkennen gab, daß er zu diesem Zweck da war.
Von draußen waren undefinierbare Geräusche und menschliche Stimmen zu h?ren. Anne ging neugierig zu dem winzigen Fenster, um zu sehen wo sie war und was sich um sie herum tat.
Sie sah in einen runden, mit unbehauenen Steinen gepflasterten Hof, der von allen Seiten mit einer weiß getünchten Mauer umgeben war, die in regelmäßigen Abständen von kleinen vergitterten Fenstern unterbrochen wurde. Anscheinend befand sich hinter jedem dieser Fenster eine ungemütliche Zelle, wie diese hier, schlußfolgerte die Journalistin und prägte sich weitere Details ihrer Umgebung ein. Die Mauer war nur ein Stockwerk hoch. Darüber konnte man zahlreiche Büsche und Sträucher ausmachen. Dazwischen waren die Fassaden einzelner Gebäude zu erkennen. Auch war das gleichmäßige Plätschern eines Springbrunnens zu h?ren, woraus Anne schloß, daß dieser runde Innenhof gewissermaßen in die üppig grüne Landschaft des Gartens, den sie gestern gesehen hatte, eingelassen war und leicht von oben, das heißt von den zahlreichen ineinander verschachtelten Bungalows, die den Park säumten, eingesehen werden konnte.
Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß das Stimmengewirr aus den zahlreichen kleinen Fenstern zu ihr herüber drang und daß es ausschließlich helle, weibliche Stimmen zu sein schienen. Auch sah sie jetzt, daß in der Mitte des Innenhofes eine Reihe massiver Holzpfähle in den Boden eingelassen waren, vor denen jeweils eine kleine Trittstufe stand.
Ein knarrendes Geräusch an der Tür ließ sie herumfahren. Doch sie konnte nur noch erkennen, wie sich der schmale Sehschlitz wieder schloß, durch den sie für einen Augenblick zwei unbekannte Augen angesehen hatten. Sie fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, daß sie völlig nackt hier eingeschlossen war und jederzeit von außen angestarrt werden konnte. Zum ersten Mal wurde ihr bewußt, in welcher Lage sie sich eigentlich befand und erste Anzeichen von Panik breiteten sich in ihr aus.
Sie lief die drei Schritte zur Tür, trommelte wild dagegen und schrie mit überdrehter Stimme nach Hassim, nach der Polizei, nach dem Botschafter, nach irgend jemandem, der sie hier herausholen konnte. Doch es regte sich nichts. Statt dessen schien draußen auf dem Innenhof etwas vor sich zu gehen.
Anne trat wieder ans Fenster und erstarrte. Was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern stocken.
Zwei arabische Wärter zerrten eine wild um sich schlagende und panisch kreischende junge Frau in die Mitte des Hofes. Die Frau war blond, ein junges Ding mit schulterlangen Haaren und sehr heller Haut. Amerikanerin, stellte Anne fest und griff instinktiv nach ihrem Recorder, um das Geschehen festzuhalten. Sie konnte einzelne Wortbrocken in der ihr vertrauten Sprache erkennen.
"Kameltreiber ... Laßt mich ... ihr verdammten Bastarde nicht, ich will nicht, ich will nicht hier dran ... nein, neeeiiinnn ..."
Es kümmerte sich niemand um ihr entrüstetes Schreien. Im Gegenteil, sie schien die beiden Wächter damit erst richtig in Stimmung zu versetzen, denn die beiden primitiven Kerle mit ihrer sonnengegerbten Haut lachten belustigt, während sie ihre offensichtlich wohlvertrauten Handgriffe erledigten und dem widerspenstigen jungen Weib mit einem dicken Strick die Hände zusammenbanden. Und zwar so, daß ihre Arme dabei einen der in der Mitte des Innenhofes stehenden Pfähle umschlangen.
"Nein, bitte nicht ... bitte, laßt mich los ... hört ihr nicht, ihr sollt mich loslassen ... nein, ich will nicht ... bitte, bitte ..."
Die anfänglichen Verwünschungen waren in ein jämmerliches Flehen übergegangen, als die Unglückliche voll erfaßt hatte, was mit ihr geschehen sollte. Die Männer hängten jetzt den groben Strick in eine ?se ein, die über dem Kopf des Mädchens in den Pfahl eingelassen war und fixierten sie somit mit weit nach oben gestreckten Armen an das Holz. Dann nahmen sie sich ihre wild um sich schlagenden Beine vor, schlangen sie ebenfalls um den Pfahl und banden sie zusammen, so daß die einzige ihr noch verbliebene Reaktion ein pausenloses Lippenbekenntnis zu Gehorsam und Unterwürfigkeit und ein verzweifeltes aufbäumen ihres Rumpfes war.
Aus den Bungalows in einiger Entfernung waren mittlerweile einzelne Personen hervorgetreten, die sichtliches Interesse an dem Geschehen zu haben schienen. Anne machte mehrere Araber unter ihnen aus, aber auch zwei europäisch oder amerikanisch aussehende Männer. Sie klatschten begeistert in die Hände, als die beiden Wärter daran gingen, der jungen Amerikanerin den einfachen Leinenumhang vom Leib zu reißen und dabei brutal ihren weißen zarten Körper allen Blicken preisgaben.
Anne Taylor hielt instinktiv den Atem an. Sie wußte, was jetzt geschehen würde. Alle hier Anwesenden wußten es. Auch die junge Amerikanerin wußte es. Anne hatte zwar wiederholt bei ihren Nachforschungen gelesen, daß man in den arabischen Ländern auch heute noch die öffentliche Prügelstrafe kannte und daß es im privaten Leben als alltägliche Sache galt, ungehorsame Frauen zu züchtigen. Doch was jetzt hier unmittelbar vor ihren Augen ablief, lähmte dennoch alle ihre Sinne. Und es erinnerte sie unangenehm an die Tatsache, daß auch sie selbst hier stand, ohne einen Fetzen am Leib zu haben.
Die junge Amerikanerin hatte sich in Erwartung des Unvermeidlichen eng an den massiven Holzpfahl geschmiegt. Ihr ganzer Körper bildete dabei eine innige Umarmung mit dem groben Material. Die weiche Wölbung ihrer Brüste stach zu beiden Seiten des dicken runden Holzes hervor. Ihre Beine umklammerten es wie einen Liebhaber. Nur daß sich ihre strammen Schenkel nicht bereitwillig der Liebe öffneten, sondern lediglich ihr dichtbemoostes Geheimnis den lüsternen Blicken derer darbot, denen ihr junger Körper jetzt schutzlos ausgeliefert war. Ihr großer runder Hintern, auf dem sich noch deutlich die Umrisse eines kürzlich getragenen Bikinihöschens abzeichneten, beherrschte jetzt in voller Ausladung das Blickfeld. Ihren Kopf schmückte üppig wallendes blondes Haar und Jedermann konnte auch zwischen ihren Beinen hellfarbigen lichten Flaum erkennen. Ihre Taille war, wahrscheinlich durch monatelange eiserne Eßdisziplin, zur schmalsten Stelle ihres Körpers abgemagert, wodurch die Auswölbung und Größe ihres Gesäßes nur noch verstärkt wurde. Es war ein eher kleinwüchsiges Mädchen, aber sie war wohlproportioniert und, was das Wichtigste in den Augen der Araber war, sie war blond. Wie alle blonden Mädchen hatte sie eine empfindliche, betont helle und noch jugendlich faltenlose Haut. Anne schätzte sie auf achtzehn, höchstens zwanzig Jahre und ihr fiel ein, daß die Araber nur ganz junge Frauen als wirklich interessant empfanden. Sie hatte bei ihren Nachforschungen mehrfach gelesen, daß bei ihnen eine schon gut entwickelte Zwölfjährige als besonderer Leckerbissen galt und dies auch das Alter war, in dem die jungen Mädchen als heiratsfähig angesehen wurden.
Es war soweit. Die beiden Wächter hatten sich mit breitem Grinsen entfernt. Dafür betrat ein gewichtig aussehender Mann den Innenhof. In der Hand hielt er eine imposante Lederpeitsche, die aus einem einzigen, breiten Riemen bestand und einen kunstvoll geflochtenen Knauf hatte. Anne wußte, daß sie in Minutenschnelle einen Körper mit grellsten Striemen überziehen konnte und eine höllische Wirkung hatte, aber gleichzeitig dafür bekannt war, daß sie nie ernsthaft die Haut verletzte.
Absolute Stille kehrte ein. Man hörte nur noch das leichte Pfeifen des Windes, der sich in den zahllosen Ecken und Winkeln des Bergkastells verfing und heiße, trockene Wüstenluft heranführte.
Ein beleibter Körper vollzog eine halbe Drehung. Ein dicker Arm holte weit aus. Ein breiter Lederriemen zischten durch die Luft. Und ein hilfloses Mädchen gab einen gellenden Schrei von sich, während weißhäutige Schenkel an ihren Fesseln zerrten und der ganze Körper sich vergebens aufbäumte.
Die Prozedur wiederholte sich. Das Zischen des Leders. Sein Aufklatschen auf nackter Mädchenhaut. Der Schrei. Grell aufleuchtende, breite Striemen. Wieder und wieder und wieder. Bis die ganze untere Hälfte des jungen Körpers, besonders Schenkel und Po, eine einzige rot angelaufene und geschwollene Fläche war, die sich grotesk von der bläßlich hellen Farbe der übrigen Haut abhob. Bis die einzelnen Schreie in ein einziges Heulen und Wimmern übergegangen waren. Und bis das anfänglich heftige Aufbäumen einem hoffnungslos ergebenen Hinnehmen gewichen war. Anne Taylor glaubte, fast selbst spüren zu können, in welch unvorstellbarem Meer von Schmerzen die junge Amerikanerin versunken sein mußte. Sie starrte gebannt und fassungslos auf das geschundene Bündel Mensch, das jetzt wie leblos an seinem Marterpfahl hing.
Die beiden Wächter tauchten wieder auf, lösten die Amerikanerin von ihren Fesseln und ließen sie zu Boden sinken, wo sie sich unter Schmerzen windend zusammen rollte und herzzerreißend heulte.
"Keine Sorge, sie wird es überleben."
Anne fuhr erschreckt herum und sah in die Augen Hassims. Sie war so gefesselt gewesen von dem, was sich soeben abgespielt hatte, daß ihr dabei gar nicht aufgefallen war wie ihr Gastgeber die Zelle betreten hatte.
"Wie ich sehe bist du schon mitten in der Arbeit." Er nahm ihr den Minirecorder aus der Hand, schaltete ihn aus und warf ihn auf das Bett.
Sein Grinsen war anzüglich und gemein.
"Das hier war nur eine unbedeutendes Episode in deinem Bericht. Du wirst Gelegenheit haben, noch mehr zu erleben. Viel mehr und weit eindrucksvoller, als das hier. Denn..." er trat ganz nahe an sie heran, so daß sie seinen Atem spüren konnte, während er weitersprach "...du wirst nicht nur das schreiben, was du mit eigenen Augen gesehen hast. Sondern du wirst deine ganz persönlichen Erfahrungen niederschreiben können. Dafür werde ich sorgen, du hochnäsige amerikanische Schlampe."
Hassim gab ihr einen derben Klaps und verließ ohne weitere Worte den Raum.
Es war etwa eine Woche nach Anne Taylors Ankunft im Kastell. Ein khakifarbener Militärlastwagen polterte durch das schwere, schmiedeeiserne Tor und machte sich auf die holprige Fahrt über die engen Serpentinen des Berges hinab in die weite Talebene. Die aus rohem Holz gezimmerten Sitzbänke auf der Ladepritsche des uralten Mercedes-Lasters offerierten kaum nennenswerten Reisekomfort für das kleine Häufchen junger Frauen und Mädchen, die zwischen zahlreichen Packstücken eingepfercht dasaßen und mit leerem Blick die felsige Landschaft vor ihren Augen abrollen ließen, soweit sie diese durch die hochgeschlagene Plane sehen konnten. Man hatte ihnen tarnfarbene Militärkleidung angezogen, um zu vermeiden, daß sie die Neugier von den in dieser Gegend herumstreifenden Nomaden erweckten. Die Hitze war unerträglich und selbst der Fahrtwind brachte keine nennenswerte Linderung. Die Kleidung der Frauen war schon jetzt, beim Antritt der Reise, völlig durchgeschwitzt und klebte ihnen am Körper. Ein Umstand, der nur den vier Bewachern Gefallen bereitete, die an jeder Ecke des Laderaumes saßen und sich am Anblick von nahezu einem Dutzend jungen, festen Brüsten weideten, deren Konturen sich unter nassen Männerhemden mehr als deutlich abzeichneten. Ihr ständiges Grinsen jedenfalls ließ erkennen, daß sie sich ausgesprochen wohl in ihrer Haut fehlten.
Anne Tailor war die einzige Weiße unter den weiblichen Passagieren. Auch sie steckte in unbequemen Militär stiefeln, viel zu weiten Hosen mit unzähligen Taschen und einem grobgewebten Baumwollhemd, das sich mittlerweile wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte. Ihr auffällig blondes Haar hatte man hochgesteckt und in einem Barett versteckt, ihre weiße Haut mit irgend einer widerlich riechenden Schmiere verunziert, so daß sie zumindest auf den ersten Blick nicht als Weiße zu erkennen war.
Sie hatte das deutliche Gefühl, daß sie der selben Bestimmung entgegensah, wie die übrigen jungen Frauen an Bord. Ein Gefühl, das wieder dieses seltsame Flattern in ihrer Magengegend auslöste und ihr eine völlig neue Erfahrung von dem brachte, was sie erst jetzt als das Erlebnis nackter Angst kennenlernte. Sie war in ihrer intensiven journalistischen Laufbahn schon oft in gefährliche Situationen geraten. Doch noch nie war sie so völlig hilflos der Willkür fremder Menschen ausgeliefert gewesen, wie jetzt. Denn hier, in dieser überwältigenden Weite des nackten, sonnenverbrannten Landes, gab es kein Gesetz, das ihr irgendeinen Schutz bieten konnte. Es gab kein Telefon, mit dem man die Hilfe der Polizei herbeirufen konnte. Statt dessen mußte sie hier mit einer fanatischen Religiosität rechnen, die nahezu das gesamte Handeln der Menschen beherrschte und in der für die Rechte einer Frau nur wenig Platz war. Und sie mußte sich allmählich an einen Gedanken gewöhnen, der ihr zwar äußerst zuwider war, der aber jetzt zur unabänderlichen Realität ihrer Situation zu gehören schien. Nämlich die Erkenntnis, daß sie nicht mehr die erfolgreiche, ungebundene, emanzipierte Journalistin war, als die sie vor einigen Tagen in Marrakech aus dem Flugzeug gestiegen war. Statt dessen war sie jetzt nichts anderes, als ein ganz gewöhnliches Weib. Eines von den zahllosen unbedeutenden Wesen, die in diesem Land allein zu existieren schienen, um die Bedürfnisse der alles beherrschenden Männer zu befriedigen. Es kam ihr vor wie ein Traum, aber sie wußte nur allzu gut, daß es die bittere Wirklichkeit war. Sie, Anne Tailor, war die hilflose Gefangene eines einflußreichen Arabers. Sie war nicht viel mehr, als die anderen jungen Frauen auf dem Lastwagen auch. Ganz gewöhnliche menschliche Ware auf dem Weg zur Vermarktung. Sie versuchte, ihre Emotionen zu beruhigen und flüchtete sich in ihr bisheriges Ich, das Ich der Journalistin, die jede Situation in ihrem Leben dazu benutzte, um ihre Arbeit zu tun. Sie begann damit, ihre unfreiwilligen Reisegefährtinnen zu studieren.
Die Mehrzahl von ihnen war offensichtlich arabischer Herkunft. Sie hatten die aschbraune Farbe, wie man sie nur in diesem Teil der Welt findet und den teilnahmslos leeren Gesichtsausdruck, wie er typisch für Menschen ist, die keinerlei Erwartung an ihr Leben stellen und jegliche Hoffnung längst aufgegeben haben. Es waren ausnahmslos schöne Frauen mit gleichmäßigen Gesichtszügen und langem, schwarzem Haar, das normalerweise bis weit über die Schultern reichte, jetzt aber hinten zusammengebunden war und in ihren weiten Männerhemden verschwand. Zwei der Mädchen identifizierte Anne eindeutig als Afrikanerinnen. Sie waren deutlich schlanker und grßer gewachsen, als die anderen, hatten eine tiefbraune, fast schwarze Hautfarbe und trugen den stolzen Blick, den nur afrikanische Frauen hatten und der auch in demütigenden Situationen, wie diesem Menschentransport hier, nie ganz zu verschwinden schien. Anne dachte sich, daß die reichen amerikanischen Plantagenbesitzer zur Zeit der Sklaverei in diesem Ausdruck von Würde und Stolz eine ganz besondere Herausforderung gesehen haben mußten. Ganz sicher war es dieser angeborene Stolz, der so mancher unglücklichen Negerin damals eine grausame Tracht Prügel beschert oder ihr bei passender Gelegenheit ein paar Peitschenhiebe zusätzlich eingebracht hatte.
Der laut dröhnende Lastwagen holperte schaukelnd durch die Felsentäler, erreichte schließlich die sengende und trockene Hitze der Wüste und schlingerte dann stundenlang über eine wellige und nie enden wollende Sandpiste. Die Monotonie der unendlich erscheinenden Fahrt wurde lediglich alle paar Stunden durch einen kurzen Stop unterbrochen, bei dem der Fahrer gewechselt und aus einem der zahlreichen mitgeführten Kanister Dieselöl nachgefüllt wurde. Die Frauen nutzten diese willkommenen Gelegenheiten, um hinter der nächsten Düne zu verschwinden und sich zu erleichtern. Sie wurden dabei jeweils von zwei Wärtern begleitet, die sich auf dem Kamm der Düne postierten und ihnen unverhohlen beim Urinieren zuschauten, während sie den Vorgang auf arabisch kommentierten und mit rauhem Lachen begleiteten. Nur als Anne das Bedürfnis verspürte, hinter der Düne zu verschwinden, verstummte das Lachen. Statt dessen wurden die beiden wild aussehenden Gesellen sichtbar nervös und griffen energisch nach der langschweifigen Lederpeitsche, die an ihrem Kaftan befestigt war, während sie mit mißtrauischen und zugleich gierig verschlingenden Blicken zusahen, wie sie mit der entwürdigenden Prozedur begann, sich die unförmige Soldatenhose vom Körper zu schälen und ohne jegliche Privatsphäre in die Hockstellung zu gehen, um wie eine herumstreunende Hündin in den Sand zu pissen.
Es war eine große Ungerechtigkeit der Natur, philosophierte Anne Taylor in diesem Augenblick mit sich selbst, eine himmelschreiende Ungleichheit, daß ein Mann zum Pinkeln nur die Hose zu öffnen und seinen Schwanz herauszuziehen brauchte, eine Frau sich aber für diesen alltäglichen, banalen Vorgang jedesmal fast völlig entblößen mußte und trotzdem Mühe hatte, sich dabei nicht vollzumachen.
Trotz ihrer Bemühungen, den Zeitablauf der Fahrt einigermaßen festzuhalten und sich jede Änderung der Fahrtrichtung und des Landschaftsbildes einzuprägen, verlor Anne Taylor irgendwann einmal völlig den Sinn für Zeit und Raum und wußte zum Schluß nur noch, daß sie sich irgendwo in der großen, unendlichen Sahara befand. Zum Schluß, als die anstrengende Fahrt endlich zu Ende war und der Transport eine Oase erreichte, die ganz plötzlich am Horizont aufgetaucht war und sich zur Erleichterung der unfreiwilligen Passagiere nicht als Fata Morgana herausgestellt hatte, war Anne Taylor schon viel zu müde, um irgendwelchen analytischen Gedanken nachzugehen. Ihr Körper war vom langen Durch schütteln völlig gefühllos geworden. Ihre Kehle war trocken und brannte höllisch. Und ihre empfindsame Haut, die an derartige Strapazen nicht gewohnt war, war von der rauhen Männerkleidung schon so wund gescheuert, daß sie kaum richtig gehen konnte, als sie endlich aus dem Lastwagen aussteigen durfte.
Die Oase entpuppte sich als dreckiges Nest, in dem ein Haufen genauso dreckiger Gestalten lebte. Anne Taylor registrierte sofort, daß es sich um eine Art Armeestützpunkt handeln mußte, denn überall standen Jeeps, Lastwagen und anderes militärisches Gerät herum. Ihr fielen auch sehr schnell einige Besonderheiten auf, die sie sich einzuprägen versuchte, in der Hoffnung sie später für ihre Story verwenden zu können, die noch immer in ihren Gedanken lebendig war. Zum Beispiel waren auf dem ganzen Areal nur wenige Männer zu sehen, statt dessen aber Scharen junger Mädchen, die überall schnatternd und kichernd herumliefen und verstohlen neugierige Blicke auf den Lastwagen mit Neuankömmlingen warfen. Außer den jungen Mädchen gab es auch noch einige ältere Frauen. Sie hielten sich jedoch abseits und Anne hatte den Eindruck, daß sich die jungen Mädchen so weit es ging von ihnen fernhielten.