Wo noch immer die Rute der Zucht regiert

„Die Züchtigung dient dem Zweck der Zufügung von Schmerzen, die allerdings nur vorübergehend sein sollen.“ So kann man es im Juraforum nachlesen. In der eigenartig hölzernen Sprache der Juristen heißt es dort weiter: „Meistens tritt sie in Form von Schlägen auf, die der anderen Person per Hand oder mithilfe von Gegenständen verabreicht werden. Diese Art der Bestrafung, wird überwiegend bei der Kindererziehung angewendet, aber auch als Bestrafung von Personen, welche sich einen gesetzlichen Fehltritt geleistet haben.“

Interessant ist, dass hier in der Gegenwartsform gesprochen wird. In Juristenkreisen ist man sich also durchaus bewusst, dass dieses Thema alles andere als Vergangenheit ist. Das wäre ja auch reichlich weltfremd. Schließlich ist eine Sache nicht aus der Welt geschafft, nur weil sich 24 Staaten dagegen ausgesprochen haben. Tun wir also nicht so, als wäre etwas völlig unmöglich, unmenschlich, unvorstellbar, nur weil es seit ein paar Jahren im Gesetz steht. Denn die schöne, heile, gewaltfreie Welt kann bereits an der nächsten Grenze aufhören.

Wobei es eine große Frage ist, ob diese Welt wirklich so heil ist. Dass eine Erziehung ohne Angst vor einer Ohrfeige oder gar mehr offenbar alles andere als unproblematisch ist, wird schnell deutlich, wenn man bei Google nachschlägt, was im Web unter „gewaltfreie Erziehung“ so alles geschrieben wird. Da findet man Headlines, wie: „Gewaltfreie Erziehung: so gelingt sie!“, „Gewaltfreie Erziehung – aber wie?“ oder auch „Erziehung ohne Gewalt – Tipps für Eltern“. Es scheint also alles andere als einfach zu sein, einem Kind Schranken zu setzen, ohne dass es bei Überschreitung einer dieser Schranken irgend etwas zu befürchten hat.

Doch nichts ist so ideal, wie es die Ideologen gerne hätten. So lieferte eine forsa-Umfrage aus dem Jahre 2012 ein recht eindeutiges Ergebnis: Nur ein Drittel aller befragten Eltern gab an, bei der Erziehung selbst auf eine gelegentliche Ohrfeige zu verzichten. 14 Prozent glauben fest an die unvergleichliche Wirkung einer schmerzhaften Tracht Prügel am liebsten mit dem Stock. Der Rest belässt es bei der gelegentlichen Ohrfeige. Und 12 Jahre nach dem offiziellen Verbot körperlicher Züchtigung im Jahre 2000.

Noch eindeutiger ist das Bild in anderen Ländern. So werden zum Beispiel in den USA fast 80 Prozent aller Vorschulkinder von ihren Eltern geschlagen. Bei einer Befragung in Indien gaben 98 Prozent aller Schüler im Alter von bis zu 17 Jahren an, schon von ihrem Lehrer geschlagen worden zu sein. In den meisten Fällen durch Stockschläge, wobei es keinen erkennbaren Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gibt. Und in England will die Hälfte aller Eltern wieder zurück zu den guten alten Zeiten, in denen sich der Lehrer mit der traditionellen Tawse Respekt verschaffen konnte. Selbst jeder fünfte Schüler ist dieser Meinung.

Seine Kinder zu schlagen ist auch aus Sicht von Papst Franziskus in Ordnung, solange dabei deren Würde geachtet werde. Das äußerte er zumindest im Jahre 2015 bei einer Generalaudienz. Noch deutlicher werden Stimmen aus der christlich-fundamentalen Ecke. Allen voran der amerikanische Pastor Tedd Tripp. Er ist Autor des Buches „Kinderherzen erziehen“, das es mittlerweile auch in einer deutschen Ausgabe gibt. Das Buch fand vor allem unter den evangelisch-freikirchlichen Glaubensgemeinschaften in Deutschland große Zustimmung. Es wanderte 2013 auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und darf seitdem Jugendlichen nicht mehr zugänglich gemacht werden. Man fragt sich allerdings, was das soll, denn es waren sicher keine Jugendlichen, die es gekauft haben. Eher schon deren Eltern.

Nach seiner Verbannung wurden gebrauchte Exemplare des Buches für bis zu 100 Euro bei Amazon gehandelt. Mittlerweile ist es jedoch wieder verfügbar. Wer sich allerdings die Verlage näher anschaut, von denen es angeboten wird, der weiß auch schnell, in welchen Kreisen es Zustimmung findet. Es sind vor allem die religiösen Gruppierungen am rechten Rand, die darin einen geschätzten Ratgeber sehen, der sich entschieden von der gewaltlosen Erziehung abgrenzt, die mittlerweile von allen Mainstream-Erziehungsratgebern gepredigt wird.

Nach der festen Überzeugung der Freikirchler leben wir in einer gottlosen Welt, in der Kinder praktisch keinerlei Erziehung mehr erfahren. Genau das widerspreche aber den Worten der Bibel, die schließlich ausdrücklich zur „Rute der Zucht“ raten. Zum Besiepiel in Spräche 23,13, wo es lakonisch heißt: „Entziehe dem Knaben die Züchtigung nicht! Wenn du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben“. In Deutschland gibt es etwa 1,3 Millionen Gläubige in einer evangelikalen Bewegung, die jede aus ihrer Sicht permissive Erziehung ablehnen und sich statt dessen wortwörtlich an den Jahrtausende alten Rat der Bibel halten.

Tripp liegt da mit seinen Ansichten genau auf der richtigen Linie: „Die Rute ist per Definition eine elterliche Pflicht", steht bereits auf dem Klappentext seines Buches. Im Inneren wird es dann schon konkreter: „Du brauchst beide Vorgehensweisen, die Gott verordnet hat, die ,Rute' und die Kommunikation. Da du mit kleinen Kindern zu tun hast, liegt der Schwerpunkt auf der spürbaren Erfahrung körperlicher Züchtigung." Konkret heißt das, dass der Autor die körperliche Züchtigung eher für Kinder im Vorschulalter empfiehlt, denn mit älteren Kindern könne man ja schon reden.

"Wenn dein Kind nicht gehorcht, muss es diszipliniert werden", stellt Tripp kategorisch klar. Und erläutert: „wenn das Disziplinieren nicht die Frucht des Friedens und der Gerechtigkeit hervorgebracht hat ... müssen wir noch einmal nach oben gehen." Besonders zu beachten ist, dass das Kind Schmerzen spüren müsse. Tripp rät deshalb dazu, das Kind auszuziehen. "Es hilft nichts, wenn Kleidungsstücke das Disziplinieren zur Streicheleinheit machen."

"Mir fällt es schwer darüber zu schreiben", berichtet eine ehemalige Zeugin Jehovas, die dann von Narben erzählt, die ein Bambusstab hinterlassen hat, mit dem Vater und Mutter "immer wieder zugehauen" haben. "Ich kann mich noch genau erinnern als ich mit einer Drei nach Hause gekommen bin. Jedenfalls war ich eine Woche Zuhause und konnte nicht auf dem Rücken liegen und nicht sitzen. Da alles blau geschlagen worden ist."

Auch Michael und Debi Pearl zählen zu den eifrigen Verfechtern der von der Bibel empfohlenen „Rute der Zucht“. Ihre Empfehlung lautet niemals mit der Hand zu schlagen. Schläge müssten Schmerzen verursachen, aber der größte Schmerz wird an der Oberfläche der nackten Haut gespürt, ohne blaue Flecken zu hinterlassen. „Wählen Sie Ihr Instrument der Größe des Kindes entsprechend. Für die unter Einjährigen genügt ein kleiner, 20 bis 30 cm langer Ast mit einem halben Zentimeter Durchmesser. Für ein älteres Kind ist ein Gürtel oder ein größerer Ast effektiv."

Die meisten Erziehungsratgeber, die die Anwendung von Stock und Rute propagieren, stammen aus den USA. Doch die freikirchlichen Denker aus Deutschland vertreten haargenau dieselbe Philosophie. Zum Beispiel der Prediger Wilfried Plock. Er ist Leiter der freikirchlichen Dachorganisation Konferenz für Gemeindegründung (KfG) soll in einem Vortrag gesagt haben, dass Gott extra einen gut gepolsterten Körperteil mit vier Buchstaben geschaffen habe, der für eine Züchtigung ideale Voraussetzungen bietet. Er sprach auch über die Erziehung seiner eigenen Kinder "mit dem Stock" und begründete seine Methode mit den Worten: "Das soll wehtun!"

Auch der evangelikale Autor Lou Priolo ist der Auffassung, dass die Rute "bei jedem Kind" zur Anwendung kommen solle, damit es Gehorsam gegenüber Gott und den Eltern lernt. Der selben Meinung ist John MacArthur in seinem Buch „Kindererziehung - Wir wollen es besser machen“. Schläge müssten "schmerzhaft genug sein, um die Folgen der Sünde in ausreichender Weise als scheußlich und unvergesslich darzustellen", so seine Erkenntnis.

Der Hirnforscher Gerald Hüther von der Universität Göttingen beschreibt die Denke hinter solchen Aussagen als „eine Dressur über Schmerz und Angst. Wenn man so den Willen der Kinder bricht, dann erzeugt man willige Werkzeuge. Auf diese Grundlage stützen sich autoritäre Systeme." Eine Aussage, der man eigentlich nicht widersprechen kann. Denn wer von Klein auf nichts als Gehorsam gelernt hat, wird dieses Denkmuster ein Leben lang beibehalten und zu den Menschen zählen, die auch später eher zu denen gehören, die Weisungen entgegennehmen, als denen die Weisungen erteilen.

Was für manchen Mann durchaus ein Segen sein kann. Wünscht er sich nicht insgeheim ein Weib, das Gehorsam gewohnt ist? Träumt er nicht von einer demütigen Ehefrau, der man beigebracht hat, dass der Mann das Haupt der Frau ist und sie ihm daher tiefen Respekt schuldet? Wenn man Websites wie christiandomesticdiscipline.com besucht, liegt dieser Gedanke zumindest nahe. Hier sieht man es nämlich als Ideal an, wenn der Mann seine Frau nicht nur liebt, sondern sie auch als ihr von Gott ernanntes Haupt führt und leitet. Und wenn sie ihm nicht den ihm zustehenden Gehorsam zeigt, dann kann er sie durchaus auch zurechtweisen.

Denn eine Frau steht nach der Denke der alten Wüstenvölker immer unter der Macht und Herrschaft eines Mannes. Was zur Folge hat, dass sie von der Rute ihres Vaters per Heirat lediglich in die Obhut eines Ehemannes wechselt, der ebenfalls die Rute der Zucht über sie schwingen kann.