Angst vor Strafe - ein Leben lang

„Geh auf dein Zimmer“, lauteten die einfachen Worte, die Gabriele mit ihrer Jugendzeit verbindet. Worte ihres Vaters, die sie noch heute zusammenzucken lassen. Und die unweigerlich ein Gefühl von Angst in ihr aufkommen lassen. nSie ist heute eine erwachsene Frau und ihr Vater ist längst gestorben. Aber die Angst ist geblieben.

Sie ist heute eine erwachsene Frau und ihr Vater ist längst gestorben. Aber die Angst ist geblieben. Denn auf ihr Zimmer zu gehen hieß mehr als mit dem Fernsehen aufzuhören und endlich die Hausaufgaben zu machen. Es hieß mehr als ins Bett zu gehen, weil es schon spät ist. Viel mehr.

Wenn ihr Vater sie auf ihr Zimmer schickte, bedeutete das nichts anders, als dort auf ihn zu warten. Manchmal nur ein paar Minuten, manchmal eine halbe Stunde, manchmal den halben Abend lang. Zu warten, bis er bereit war, ihr das zu geben, was sie nach seiner Meinung verdient hatte. Und das war eine gehörige Tracht Prügel. Immer. Ohne Ausnahme.

Denn ihr Vater war einer von der alten Sorte. Er war der festen Meinung, dass man einen Teenager wie sie hart rannehmen muss, um ihn auf dem rechten Weg zu halten. Eine schlechte Mathe-Note hieß für ihn, in der Schule unaufmerksam gewesen zu sein, nicht aufgepasst zu haben und nicht genügend gelernt zu haben. Und dagegen half nur sein Ledergürtel.

Natürlich hatte sie gekreischt, wenn er sie verdroschen hatte. Jedes Aufklatschen des Leders auf ihrer Haut war wie eine Stichflamme durch ihren Körper gefahren. Jeder Hieb hatte ihr schrille Schreie entlockt, die durch das ganze Haus hallten. Und am Ende war sie heulend und schluchzend auf dem Bett zurück geblieben, während ihr Vater zufrieden auf sie herabgesehen und seinen Gürtel wieder in die Hose geschlauft hatte.

Doch es war nicht der Schmerz, der sich fest in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Nicht dieses Gefühl der Ohnmacht vor einem übermächtigen Vater, der keine Ausreden akzeptierte und keine Gründe gelten ließ. Nicht die anschwellenden Striemen, die sie vor ihren Freundinnen verbergen musste. Es war vor allem die Angst davor. Die Zeit des Wartens, die zur Ewigkeit wurde. Die Furcht vor dem Augenblick, in dem sich die Tür öffnete und er schließlich hereinkam. Der unausweichliche Moment, in dem er seinen Ledergürtel um die Hand wickelte und sie genau wusste, was das lange Ende des schmiegsamen Leders gleich auslösen würde.

Er hatte nie viel geredet und sie konnte sich an keine Strafpredigt erinnern, die einer Züchtigung vorausging. Sie wusste ohnehin, wofür sie Dresche erhielt. Und sie wusste nur allzu gut, dass es keinen Weg gab, ihrer Strafe zu entgehen. Dass sie dafür ihr Höschen ausziehen musste, war ihr schon seit ihrer Kindheit in Fleisch und Blut übergegangen. Früher hatte er sie einfach übers Knie gelegt und das Kleidchen hochgeschlagen. Später war sie instruiert worden, sich selbst „unten herum“ frei zu machen. Und irgendwann hieß es eben nur noch „geh auf dein Zimmer“ und sie wusste, was sie zu tun hatte.

Ihre Kinder sind noch nie geschlagen worden. Weder von ihrer Mutter noch von ihrem Vater. Aber manchmal fragt sie sich doch, ob eine Tracht Prügel nicht vielleicht doch eine bessere erzieherische Maßnahme wäre. Besser als unendliche Ermahnungen, lautstarke Worte, wirkungsloser Hausarrest und resignierte Unterschriften unter schlechte Noten.