Kurzer Prozess: Kindheit in den 60er Jahren

Im Zeitalter vor der Pille kamen Kinder auf die Welt, weil die Natur es eben so gewollt hatte. Manche wurden als Geschenk Gottes angesehen. Andere wurden eben geboren, weil zwei Menschen Sex gehabt hatten. Im Mittelpunkt standen sie nie. Sie mussten sich einfügen, hatten zu spuren oder bekamen Prügel.

„Durch die Rute erretten die Eltern die Seele ihres Kindes vor der Hölle, denn die Prügel befreien von Sünden.“ Das meinte Martin Luther und sprach damit genau das aus, was dem damaligen Zeitgeist entsprach. Durch das „Allgemeine Preußische Landrecht“ (ALR) von 1794 wurde die körperliche Züchtigung des Nachwuchses sogar gesetzlich verankert. Danach konnte der Vater „angemessene Zuchtmittel ... anwenden“ und war gesetzlich ermächtigt, seine Kinder mithilfe von Stock, Rute und Peitsche zu erziehen.

Dieses Züchtigungsrecht stand von Anfang an grundsätzlich nur dem Vater zu. Er war der Patriarch, der Hausherr, der Herrscher der Familie. Wobei sich seine nur wenig eingeschränkte Macht nicht nur auf die Kinder erstreckte, sondern auch auf die Ehefrau. In Deutschland war 1958 Schluss damit. Doch er entsprechende Paragraf wurde nicht etwa gestrichen, um Kinder, Jugendliche und Heranwachsende vor den Schlägen ihres Vaters zu schützen. Vielmehr ging es lediglich darum, das Privileg des Mannes zu kappen, weil es gegen die damals eingeführte Gleichberechtigung von Mann und Frau verstieß.

Das Züchtigungsrecht wurde also nicht wirklich abgeschafft. Es gab nur keinen Paragrafen mehr, der es regelte. Also lebte es als Gewohnheitsrecht weiter und wurde stillschweigend geduldet. Es gab noch nicht einmal eine gesetzliche Definition, wie weit ein Vater bei der Züchtung der Seinen gehen konnte. Dafür gab es ein breites Arsenal an Züchtigungsmitteln und jede Region kannte ihre eigenen Vorlieben.

Sehr beliebt war der Rohrstock. Der hatte sich ja bereits im Klassenzimmer bestens bewährt und galt als hochwirksam, um für die gewünschte Disziplin zu sorgen. Außerdem hatte er den Vorteil, dass das Mädchen oder der Junge nicht extra entkleidet werden musste, denn ein wenig Stoff auf der Haut kann die Wirkung eines Rohrstocks nicht wirklich schmälern. Ein Aspekt, der in der damaligen eher prüden Gesellschaft durchaus von Bedeutung war.

„Doch wir Mädchen waren dabei eindeutig benachteiligt,“ berichtet eine heute siebzigjährige Frau, die ihre Schulzeit in einem katholischen Kinderhort verbracht hatte. „Den Jungs hat Schwester Walburga einfach die Hosen strammgezogen, bevor der Rohrstock in Aktion trat. Uns Mädchen hat sie nicht nur der Rock hochgehoben.  Sie hat uns auch das Höschen zwischen die Pobacken gezogen und wir spürten den Stock direkt auf der nackten Haut.“

Väter waren  noch weniger  rücksichtsvoll, wenn es darum ging, eine Tochter zu bestrafen. Strafe und Demütigung gehören zusammen, so die weit verbreitete Auffassung in jenen Tagen. Ein rebellisches Mädchen hat kein Recht auf Scham. Besonders in ländlichen Gebieten erfreute sich daher die Birkenrute oder auch der Ochsenziemer großer Beliebtheit. Und natürlich der Lederriemen, wie ihn praktisch jeder Mann am Leib trägt. „Bei mir zog sich alles zusammen, wenn ich das Geräusch hörte, wenn Vater seinen Gürtel aus der Hose zog,“ berichtete eine Frau, die ihre Teenagerzeit in den 60er Jahren erlebt hatte. Natürlich war sie nackt, wenn der Gürtel auf das zuckende Fleisch niederprasselte, denn nur so konnte schließlich die bestmögliche Wirkung des Leders gewährleistet werden.

Während ein Rohrstock irgendwo aus dem fernen Osten importiert werden muss und ein Lederriemen das Werk eines geübten Handwerkers ist, wachsen die dünnen Zweige der Birkenrute praktisch am Wegesrand. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ihr zischender Sound vor allem in dörflichen Landstrichen regelmäßig zu hören war. Doch für eine wirksame Züchtigung mit der Birkenrute muss der Zögling nackt sein. Ein Bündel dünner Zweige verursacht zwar höllische Schmerzen, aber eben nur auf dem entblößten Hintern, oder zumindest auf nackten weiblichen Schenkeln, nachdem Rock und Höschen zuvor beseitigt wurden.

„Bei uns gab es eine große Tonvase, die direkt neben der Eingangstür stand. Darin wurden immer mehrere Dutzend dünne Birkenruten gewässert und damit schön schmiegsam gehalten,“ berichtete Marija über ihre Jugend in Kärnten. „Sollte eine der Mägde bestraft werden, dann wurde sie über den Strafbock in der Scheune geschnallt. Rock und Unterzeugs wurden entfernt und der Bauer schlug so lange mit der Rute zu, bis sich Blut zeigte.“

Der Ochsenziemer war vor allem im Osten des Landes zu Hause. In den weiten Ebenen Mecklenburg-Vorpommerns beherrschten über viele Jahrhunderte Großgrundbesitzer das Land. In der Zeit vor dem letzten Weltkrieg waren das die Herrscher ganzer Landstriche, die ein großes Heer an Knechten und Mägden unter sich hatten, die ihnen mehr oder weniger ausgeliefert waren. Das waren reiche und angesehene Männer, die genau wussten, wie man Männer zur Arbeit antreibt und Frauen in Unterwürfigkeit hält.

Der Ochsenziemer war das Symbol ihrer Macht und sein Biss war offensichtlich vor allem für die unbeugsamen weiblichen Mitglieder eines Gutshofes gedacht. Meist bestand er aus gut einem Dutzend harter Lederriemen, die mit einem massiven Holzgriff verbunden waren. Sie schnitten unbarmherzig in die Haut und hinterließen dick anschwellende Striemen, die tagelang zu spüren waren. Nicht selten waren die Spuren des Ochsenziemers auch blutig. Auf jeden Fall sorgten sie dafür, dass die Gezüchtigte lange Zeit alles tun würde, damit ihr Herr keinen Grund hatte, sie erneut unter Zucht zu nehmen. Wobei sie zur Züchtigung meist an einem Seil aufgehängt wurde, sodass sie gerade noch den Boden berühren konnte. Oder sie wurde mit geöffneten Beinen und klaffenden Schamlippen auf einen Bock gespannt. Ein widerspenstiges Weib hat eben kein Recht auf Scham und eine gewöhnliche Magd erst recht nicht.

Bis weit in die 60er Jahre hinein galten Schläge als das einzig praktikable Mittel einer guten Erziehung. Das wusste jeder und die Medien jener Tage skandalisierten das Thema nicht, wie das heute der Fall ist. Ein Kampfblatt für eine strenge Erziehung bis weit in die 70er hinein war die Neue Deutsche Gerichtszeitung. „Verteidigen wir, was wir aufgebaut haben,“ titelte damals das Blatt. „Selbstverständlich soll ein 14jähriges Mädchen kräftig den Hintern versohlt bekommen,“ lautete die Forderung. „Und zwar sachgerecht mit einem dünnen Rohrstöckchen.“ Als vorbildlich wird die „pflichtbewusste Mutter“ beschrieben, die den Hintern ihrer herumstreunenden Tochter mit dem Lederriemen bearbeitete, bis er grün und blau anlief.

Um kriminellen Umtrieben vorzubeugen, sollten Eltern den „Allerwertesten ihrer Töchter mit Rohrstock, Riemen oder Kochlöffel“ bearbeiten, meinte das kämpferische Blatt. Dabei wird es als vorbildlich beschrieben, wenn Eltern zusammenarbeiten und Mutter dem energischen Hausherrn zur Hand geht, um das „Früchtchen“ auf dem Tisch festzuhalten, damit es die volle Wirkung des „häuslichen Strafgerichts“ erfahren kann.

Im August 1952 befragte die „Gerichtszeitung“ ihre Leser, was sie über die Erziehung im Elternhaus dachten. 96,6% der Einsendungen stimmten für die Gleichheit in der Behandlung von Mädchen und Jungen und bejahten die Anwendung von körperlichen Züchtigungen.  

Es gab in der Folgezeit mehrere Befragungen zu diesem Thema.  Auffallend war dabei ein Aspekt, der früher nie so deutlich geworden war: Söhne wurden ab etwa dem 16. Lebensjahr kaum noch körperlich gezüchtigt. Die Mädchen hingegen erfuhren oft bis ins späte Teenager-Alter hinein die volle elterliche Strenge. Der Grund dafür war meist die durchaus berechtigte Sorge, dass die Tochter eine Dummheit begehen und schwanger werden würde. Der oft geäußerte väterliche Ausspruch lautete damals: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, wirst du tun, was ich sage, oder ich werde nicht zögern, nach wie vor den Stock zu holen.“ Den bekamen junge Mädchen nicht selten zu hören, bis sie „unter der Haube“ waren und eine Schwangerschaft kein Problem mehr war. „Meine letzte richtige Tracht Prügel bekam ich am Tag vor meiner Hochzeit,“ wird eine junge Braut im „Stern“ aus dem Jahre 1968 zitiert. Ihr Vater benutzte dafür einen Lederriemen und machte sie vorher nackt, wie er es immer getan hatte. So war es eben damals üblich. Es war der allgemeine Brauch, der so oder anders in praktisch jeder Familie praktiziert wurde.

Ein Brauch, den sich nicht wenige Eltern zurück wünschen, um endlich wieder das praktizieren zu können, was die Mehrheit der Bevölkerung auch heute noch unter Erziehung versteht.