Warum lassen sie sich das gefallen?
Eine Frau bezieht von ihrem Mann Prügel. Die Nachbarn werden aufmerksam und rufen die Polizei. Übel zugerichtet bringt man sie ins nächste Krankenhaus. Doch eine Anzeige bleibt aus. Statt dessen beobachten die Nachbarn verwundert, wie sie wenige Tage später wieder Arm in Arm mit ihrem Mann spazieren geht. Das heißt, eigentlich wundern sie sich nicht. Denn so war es auch das letzte Mal. Überhaupt jedes Mal, wenn er sie grün und blau geschlagen hat.
Die Polizei kennt solche Situationen nur allzu gut. Sie trennt die beiden, nimmt den schlagenden Ehemann vorübergehend in Gewahrsam, schreibt einen Bericht und die Sache ist erledigt. Bei Staatsanwälten läuft das schlichtweg als „häusliche Auseinandersetzungen“. Juristisch gesehen handelt es sich zwar um schwere Körperverletzung und damit um ein so genanntes Offizialdelikt, das unabhängig von einer Anzeige verfolgt werden müsste. Aber wo kein Kläger ist, da gibt es auch keinen Richter. Schließlich will sich niemand unnötige Arbeit machen?
Die Frage ist nur, warum ist das so? Warum gibt es Frauen, die sich immer wieder verdreschen lassen, um schon wenig später wieder in seinen Armen zu liegen und sich geliebt zu fühlen? „Irgendwie war ich ja auch selbst schuld,“ hört man da nicht selten. „Ich hätte ihn eben nicht provozieren sollen.“ Der Normalmensch kann das kaum nachvollziehen. Der Psychologe schon.
Oder nehmen wir die Prostituierte, die am Straßenrand steht. Ihre Heimat ist Rumänien und sie ist keine 18 Jahre alt. Eigentlich wurde ihr ein toller Job im Westen versprochen. Gelandet ist sie in seinen Händen. Er hat ihr klar gemacht, worin ihre Arbeit bestehen wird. Zuerst mit ein paar Ohrfeigen und später mit dem Ledergürtel. Genauso wie ihr Vater. Auch er bestimmte, was sie zu tun und zu lassen hat. Und wenn sie nicht gehorchte, ging sie am Abend mit dicken Striemen am Körper ins Bett. „Ich hätte ihm eben gehorchen müssen,“ so ihre Überzeugung, denn schließlich weiß jedes junge Mädchen „wer nicht hören will muss fühlen.“
Als ihr Zuhälter ins Gefängnis kam, weil er der Polizei ins Netz gegangen war, hat sie ihn besucht. Jede Woche. Und sie ist weiterhin für ihn anschaffen gegangen. Er war schließlich ihr Mann und sie hatte ihm zu gehorchen. Außerdem würde er schon bald wieder auf freiem Fuß sein und sie wusste, wie er sein konnte, wenn er wütend auf sie war.
In der Psychologie spricht man hier vom Stockholm Syndrom. Benannt nach einem Banküberfall, der 1973 die schwedische Hauptstadt in Atem hielt. Damals hatte man beobachtet, dass die vier Geiseln, die fünf Tage lang unter der Kontrolle der Bankräuber standen, nicht etwa wütend auf diese waren und ihnen die Pest an den Hals wünschten. Nein, sie hatten sich geradezu mit ihnen verbrüdert. Sie zeigten großes Verständnis für ihre Tat und besuchten sie später noch jahrelang im Gefängnis. Alles Frauen übrigens.
Seitdem weiß man, dass es nichts Außergewöhnliches ist, dass Frauen sich zu dem Mann hingezogen fühlen, der ihr Schicksal ist. Auch wenn er ein Bankräuber ist. Auch wenn er sie zwingt, sich für ihn zu prostituieren. Auch wenn er sie schlägt und das immer wieder.
Im Fall der Geiselnehmer von Stockholm hat man das Phänomen untersucht. Es hätte mit einer verzerrten Wahrnehmung zu tun, meinten die Psychologen. Die Frauen wussten genau, was in der Bank geschieht. Erst hatten sie pure Angst, doch irgendwann merkten sie, dass die Verbrecher auch menschliche Züge hatten. Sie schmeichelten sich ein, um deren Gunst zu erlangen. Sie waren dankbar für jede noch so kleine Erleichterung ihrer Lebensbedingungen – etwas zu essen, das Lockern ihrer Fesseln oder selbst die Erlaubnis, zur Toilette zu gehen. Mit anderen Worten: sie arrangierten sich mit der Situation und versuchten, das Beste daraus zu machen. Bis die Geiselnahme Teil ihrer Wirklichkeit wurde und sie sich sozusagen als verbündete der Geiselnehmer fühlten. Denn die waren so schlimm ja gar nicht, während die Polizei da draußen nichts für sie tat.
Bei misshandelten Ehefrauen ist es nicht anders. „Er hat mich geheiratet,“ sind ihre Gedanken und sie sind der Überzeugung allein deshalb zu ihm halten zu müssen. „Schließlich verdient er das Geld für mich und meine Kinder und hat mich all die Jahre nie verlassen,“ beruhigen sie sich selbst. „Ja, er kann jähzornig sein, aber eigentlich ist er ein guter Mensch. Denn manchmal ist er richtig zärtlich und zeigt mir, dass er mich begehrt. Ich muss mich eben beherrschen, darf ihm keinen Grund geben, sich über mich zu ärgern. Ich muss eine gute Hausfrau sein. Eine gute Mutter. Und vor allem eine gute Geliebte. Es tut weh, wenn er mich schlägt. Doch meist geschieht es nicht ohne Grund. Ich darf ihm eben keinen Anlass dafür geben.“
Sozialpädagogen kennen solche Worte. Und sie wissen auch, dass solche Frauen geradezu geschlagen werden wollen. Das mag zynisch klingen, doch es ist die Realität. Denn wenn es eine Frau geschafft hat, sich von einem Schläger von Mann zu trennen, dauert es meist nicht lange und sie landet erneut in einer Beziehung. Und zwar mit einem Mann, der genau dasselbe mit ihr macht. Vielleicht ist es ja die Auffassung, dass Sicherheit mit Unterwürfigkeit erkauft werden muss. Dass er ihren Gehorsam verlangen kann, wenn er für sie sorgt und sie beschützt. Und wenn sie ihm nicht gehorcht, dass setzt es eben eine Tracht Prügel. Das war schließlich zu Hause nicht anders.
„Mein Ex war ein Scheusal,“ berichtete eine Frau dem Reporter, der eine Geschichte über sie schreiben wollte. „Wenn er wütend war, hat er einfach mit der Faust zugeschlagen. Danach hatte ich ein blaues Auge und blaue Flecken am ganzen Körper. Einmal hat er mir sogar die Rippen gebrochen und miut gebrochener Nase wurde ich mehrmals eingeliefert.“
Ihr jetziger Mann? Ja, der sei viel besser. Bei ihm fühlte sie sich richtig aufgehoben. Klar, auch er konnte wütend werden, aber das war ja bei einer Frau wie ihr nicht verwunderlich. Aber er schlug nicht einfach mit der Faust zu. Nein. Er zerrte sie aufs Bett und zog ihr die Kleider vom Leib. Wenn er mit ihr fertig war, hatte sie auch blaue Flecken. Er nahm immer seinen Ledergürtel. Aber er schlug sie nur auf den Po und die Schenkel. Da, wo es richtig weh tut, aber keine Verletzungen erzeugt. Zumindest keine, die jeder sehen kann.
Es ist eben wie es in Stockholm war. Sie ergaben sich in ihr Schicksal. Sie akzeptierten ihr Leben, wie es nun mal war. Sie versuchten, sich anzupassen und unterzuordnen. Und sie waren dankbar für jedes kleine Entgegenkommen, das man ihnen gewährte.