Eindrücke, die das Leben prägen



Kinder sind neugierig. Sie gehen mit weit geöffneten Augen durch die Welt. Sie sammeln Eindrücke, machen Erfahrungen und machen entscheidende Erfahrungen fürs Leben. Daran musste ich denken, als mir Jenny begegnete. Sie spricht mit dünner Stimme, eine zierliche Frau Mitte dreißig, leidlich hübsch und vom Leben geprägt.

Ja, sie wusste, was Gewalt in der Erziehung ist. Ihr Vater war ein einfacher Mann, der nicht lange fackelte und seinen Worten gerne mit einer Ohrfeige oder einer handfesten Tracht Prügel Nachdruck verlieh. Das geschah meist spät abends und vor allem dann, wenn er wieder einmal getrunken hatte und besonders übel gelaunt war. Ihre Mutter stand meist nur dabei und sah teilnahmslos zu. Sie hätte sich nie getraut, ihn davon abzuhalten. Im Gegenteil, sie erzählte ihren drei Töchtern gerne, dass das eben die Folge wäre, wenn man ungehorsam war.

Bis zu ihrem 16. Lebensjahr ging das so. Bis sie ihren ersten Freund hatte und mit ihm kurzerhand durchbrannte. Seitdem hatte sie ihr Elternhaus nie wieder betreten. Selbst als erwachsene Mutter von zwei Kindern hatte sie Angst davor, ihrem Vater gegenüber zu treten. Selbst jetzt, mehr als zwei Jahrzehnte, nachdem sie von zu Hause ausgerissen war, würde sie sich vor ihm noch genauso fühlen wie das junge Mädchen von damals. „Ich glaube, ich würde förmlich darauf warten, dass er seinen Gürtel aus der Hose löst, um mich dafür zu bestrafen, dass ich seinerzeit abgehauen bin,“ waren ihre Worte und ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie es genau so empfand.

Doch da war noch etwas:

„Als Kinder wussten wir natürlich noch nicht, was Sex ist. Aber wir wussten, dass es da etwas gab, das richtig furchtbar sein musste,“ erinnerte sich Jenny. „Manchmal kam Vater von der Arbeit nach Hause und wir spürten sofort, dass Unheil im Anzug war. Dann knallte er die Haustür zu, sodass es wie ein Schuss durch das gesamte Haus hallte. Er warf seine zerschlissene Aktentasche in die Ecke, zog die Schuhe aus und zog sich um. Doch nicht wie üblich, indem er seine Arbeitskleidung in der Waschküche zurückließ und gegen seinen blauen Trainingsanzug eintauschte. Vielmehr lief er fluchend durchs Haus und ließ seine Klamotten einfach liegen, wo sie gerade hinfielen.“

Was danach folgte, schien in dieser Familie zu den ganz normalen Situationen zu zählen, die sich alle paar Wochen wiederholten. Der vermutlich nicht mehr ganz nüchterne Familienvater stürmte an seiner am Herd stehenden Frau und seinen verängstigten Kindern vorbei direkt ins Obergeschoss des Hauses und brüllt: „Komm sofort hoch, Weib.“ Er titulierte sie in diesen Augenblicken tatsächlich nur als Weib und sie bemühte sich beflissen, alles stehen und liegen zu lassen und auf der Stelle seinem Ruf zu folgen. Manchmal packte er sie auch einfach am Arm und schob sie unter Verwünschungen vor sich her die Treppe hinauf.

Oben war das elterliche Schlafzimmer, das wussten die Kinder. Und sie wussten auch, dass dessen Tür mit lautem Knall ins Schloss fallen würde. Danach wurde es meist still und wenig später hörte man Geräusche, wie sie kleine Mädchen noch nicht einzuordnen wissen. Manchmal klatschte es auch deutlich vernehmbar und die Kinder wussten, dass jetzt Mama dran war, von ihm bestraft zu werden. Manchmal stöhnte sie auch vernehmlich. Oder sie schrie, wie jemand eben schreit, dem richtig weh getan wird.

„Als wir noch klein waren, verkrochen wir uns an so0lchen Abenden in unsere Zimmer und warteten einfach, bis alles vorbei war. Papa war streng, das wussten wir. Ganz im Gegensatz zu den anderen Vätern, die ihre Kinder fast nie schlugen. Auch das war uns bewusst. Doch irgendwie war es für uns normal. Wenn Papa verärgert war, dann setzte es eben etwas. Und dafür genügte schon der geringste Anlass. Und da auch Mamas manchmal Fehler machen, bezog eben auch unsere Mutter gelegentlich Schläge. So lief das eben im Leben.“

Dass das, was da oben im Schlafzimmer ablief, mit Sex zu tun hatte, wusste Jenny als kleines Mädchen natürlich noch nicht. Aber irgendwann werden aus Kindern Teenager, die neugierig sind, interessante Gefühle zwischen ihren Beinen entdecken und anfangen, Dinge lesen, die ihnen eigentlich verboten wurden. Dort steht dann viel über Männer und Frauen, über Liebe und Leidenschaft. Aber über das große Unbekannte stand da nicht viel.

In der Zeit vor dem Internet, als Pornos noch unter der Ladentheke gehandelt wurden, herrschte eben über alles unter der Bettdecke eine große Geheimniskrämerei. Junge Mädchen wussten zwar damals viel über Liebe, aber so gut wie gar nichts über Sex. Manche gingen sogar völlig naiv in die Ehe, um in der Hochzeitsnacht erschreckt festzustellen, wie groß so ein Penis ist und dass Männer ganz versessen darauf sind, ihn irgendwo zwischen dem buschigen Schamhaar rein zuschieben. Andere fanden vorher einen Jungen, mit dem sie gemeinsam herausfinden konnten, wie was zusammengehört.

Jenny hatte übrigens mit ihrem ersten Freund wenig Glück. Er war zwar deutlich älter als sie und meinte, genau zu wissen, was eine Frau braucht. Aber sein Sex tat eher weh als irgendwie Lustgefühle zu erzeugen. Und er war der festen Meinung, dass man ein Weib nur „richtig ran nehmen“ müsste, um sie zufrieden und glücklich zu machen. Mit der Folge, dass sie nicht immer wollte, wenn ihm danach war und er begann, sie zu schlagen, wenn sie nicht parierte.

Für Jenny schien es anfangs völlig normal zu sein. Männer sind eben so und Frauen haben sich ihnen zu fügen. Sie stellte daher ihren jungen Körper zur Verfügung, so gut sie es konnte. Schließlich war sie „sein“ Mädchen und er gab gerne vor seinen Kumpels mit ihr an, weil sie nicht nur ein schöner Anblick, sondern auch noch verdammt jung war. Und sie hätte sich auch gar nicht getraut, sich von ihm zu trennen. Wohin sollte sie auch gehen? Und wo wollte sie wieder einen Jungen finden, der sie aushielt und gut zu ihr war, solange sie brav ihre Beine öffnete, wenn ihm danach war.

Geheiratet hat der große Lover sie nie. Das tat später ein anderer, ihr Chef im Supermarkt, wo sie die Regal aufgefüllt hatte und irgendwann zur Kassiererin aufgestiegen war. Er hatte ein Auge auf sie geworfen und schon bald zu seiner Frau gemacht. Eine gehorsame Frau, die jeden Wunsch von seinen Augen ablas, die ihm zwei Kinder schenkte und mit ihrem irgendwie noch immer kindlichen Wesen irgendwie einen ganz besonderen Reiz auf ihn ausübte.