Räum dein Zimmer auf, sonst …



Es war am Freitag Morgen. Ich saß in meinem Lieblingscafé und wartete auf einen Gesprächspartner. Am Nebentisch zwei Frauen. Schlichte Erscheinung, aber nicht unattraktiv, vermutlich Mitte dreißig, höchstens vierzig. Sie taten es mir gleich und nutzten das üppige Frühstücksbuffet. Das heißt, sie begnügten sich mit dem Minimum, einem Schälchen Müsli mit Joghurt und einem Teller mit frischen Früchte. Hausfrauen, vermutete ich. Wer sonst hat um zehn Uhr morgens Zeit, im Café zu frühstücken und dabei ausgiebig zu plaudern?

Ich saß nahe genug, um einen Großteil des Gesprächs mitzubekommen, während ich mich mit meinem Tablet beschäftigte und so tat, als würde ich meine eMails checken.

„Sie räumt einfach nicht ihr Zimmer auf,“ meinte die eine. „Ich meine, mit vierzehn kann man doch erwarten, dass es da zumindest einigermaßen zivilisiert aussieht. Aber ich kann mir den Mund fusselig reden, es passiert einfach nichts. Wenn ich nicht ihre dreckige Wäsche einsammeln würde, hätte sie bald nichts zum anziehen.“

„Wem erzählst du das. Meine ist da nicht viel besser. Wenn ich richtig laut werde, reagiert sie zwar widerwillig. Aber wenn man dann die Schränke aufmacht, fällt einem das Zeug gleich wieder entgegen. Meist bin ich es, die zumindest einmal die Woche alles aufräumt, damit ich zumindest mit dem Staubsauger durch komme.“

Sie gehen wohl doch eher auf die vierzig zu, dachte ich mir, denn wie es schien waren Ihre Kids bereits Teenager. Und es waren Mädchen, die es offensichtlich von klein auf gewohnt waren, dass Mami hinter ihnen her räumt. Und die vermutlich den lieben langen Tag auf ihrem Handy rumwischten und belanglose Nachrichten mit irgendwelchen Freunden austauschten, während der Fernseher lief und MTV die angesagtesten Hits abspielte.

Das Wort Erziehung kannten die beiden offensichtlich nur vom Hörensagen. Dass man einem Teeny manchmal die harte Kante zeigen muss, ist ihnen offensichtlich noch nie in den Sinn gekommen. Genauso wie die Tatsache, dass Eltern durchaus das Recht haben, ihren heranwachsenden Töchtern zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Stattdessen sitzen sie da und jammern sich gegenseitig vor, wie schwierig die Jugend von heute ist.

Aber das ist eben die Generation, in der wir leben. Kinder werden nicht mehr erzogen, sondern wachsen einfach irgendwie auf. Ihre Väter reiben sich im Beruf auf und sind abends froh, wenn sie ihre Ruhe haben. Und die Mütter sind entweder auch berufstätig oder haben das große Los gezogen und können vom Einkommen ihres Mannes leben. Bei den beiden am Tisch nebenan waren es offensichtlich Männer mit besonders gutem Einkommen, denn jede von ihnen stieg später in einen trendigen Kleinwagen ein. Vielleicht um ins nächste Shopping Center zu fahren. Oder zurück ins schmucke Reihenhaus am Rande der Stadt.

Besonders eine von ihnen hatte einen hübschen Arsch und ich fragte mich, ob ihr Mann wohl noch einen Blick dafür hatte, wenn er Abends nach Hause kam und sich die aufregenden Details eines Hausfrauenlebens anhören musste. Denn so attraktiv sie für ihr Alter noch war, so einfach schien sie gestrickt zu sein. Eine typische Hausfrau eben, die im Laufe der Jahre zunehmend verblödet war, weil sich ihr ganzes Leben nur noch um Küche und Haushalt drehte. Und natürlich um den verwöhnten Teenager, der Ansprüche stellte und bedient werden wollte.

Woran liegt es bloß, dass es Eltern heute einfach nicht mehr schaffen, sich gegen ihren Nachwuchs durchzusetzen? Zumindest die meisten nicht. Weshalb fühlen sie sich machtlos gegenüber einer jungen, unreifen Göre, die noch die Schulbank drückt und absolut noch nichts in ihrem Leben erreicht hat? Was macht sie so hilflos, gegenüber einer Tochter, die doch eigentlich in jeder Hinsicht vom Wohlwollen derer abhängig ist, die sie in die Welt gesetzt haben?

Was war eigentlich der Augenblick in der neueren Geschichte, in dem Eltern ihre Macht verloren?

War es der Pädagoge Alexander Sutherland Neill, der sich bereits in den 20er Jahren mit einer Pädagogie vom Mainstream absetzte? Seine auf freier Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit setzende Schule sollte später unter dem Stichwort „Summerhill“ weltweites Aufsehen erregen. Im Volksmund spricht man seitdem von „antiautoritärer Erziehung“, denn im Gegensatz zu den sonst üblichen Gepflogenheiten seiner Zeit gab es an den von Neill gegründeten Schulen keinen Rohrstock, wie er damals zur Grundausstattung jedes Klassenzimmers gehörte, und somit auch keine schmerzhaften Strafen.

Ende 1960 erschien in den USA Neills Buch Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing und wurde von der 68er-Generation geradezu euphorisch aufgenommen. Es war die Generation, die erstmals in der Geschichte offen gegen ihre Eltern aufbegehrte und alles anders machen wollte als die spießigen Alten.

In den intellektuellen Kreisen galt es spätestens in den 70er Jahren als verpönt, Kinder „mit Gewalt“ zu erziehen. Einem aufbegehrenden Teenager eine Tracht Prügel zu verabreichen, wurde geradezu als barbarisch gesehen, ganz gleich, ob er es verdient hatte oder nicht. Erziehung hatte allein mit Worten zu geschehen, mit Überzeugungskraft und mit unendlicher Geduld. Das ging soweit, dass sich eine Mutter, der die Hand „ausgerutscht“ war, nicht selten in aller Form für diese Ungeheuerlichkeit entschuldigte.

Den beiden eingangs erwähnten Müttern, die offensichtlich in der nach eigener Überzeugung aufgeklärten Mittelschicht aufgewachsen waren, hatten das bereits so verinnerlicht, dass es ihnen gar nicht in den Sinn gekommen wäre, einem unbelehrbaren Teeny auf die schmerzhafte Weise deutlich zu machen, dass ein ordentliches Zimmer keine Verhandlungssache ist, sondern eine unumstößliche Regel, die es zu befolgen galt. Erziehung mit dem Lederriemen gab es doch bestenfalls noch in der Unterschicht, wo die Leute es einfach nicht besser wussten und sich nur mit Gewalt artikulieren konnten.

Ich habe dabei immer sehr zwiespältige Gefühle. Das eine Extrem ist ein despotisches Elternhaus, indem Vaters Wort Gesetz ist und jede Übertretung der häuslichen Ordnung unnachgiebig bestraft wird. In einem solchen Umfeld entstehen genau die Kinder, für die Gehorsam zum eisernen Lebensprinzip gehört. Kinder, die sich auch als Erwachsene fügen und unterordnen. Kinder, aus denen später widerspruchslose Beamten und gehorsame Soldaten werden, die alles tun, was ihnen irgend eine Autorität befielt. Genau die Sorte Mensch also, die sich in zwei Weltkriege treiben ließen.

Das andere Extrem ist ein Elternhaus ohne Regeln, ohne Geboten und Verboten und damit ohne Strafen, die bei deren Übertretung zu befürchten sind. Hier wachsen die kleinen Egoisten heran, die ihre Eltern terrorisieren und später von einer Beziehung in die andere schlittern. Für sie sind Eigenschaften wie Wirgefühl, Rücksichtnahme und gegenseitige Verantwortung nur lästig, denn sie behindern das von frühester Kindheit an herausgebildete Ichdenken und stehen der mittlerweile als wichtigstes Lebensziel geltenden Entfaltung der eigenen Persönlichkeit nur im Weg.

Ich meine, es ist höchste Zeit, dass Eltern wieder Autoritäten werden. Menschen, die die Erziehung ihrer Kinder als Lebensaufgabe ansehen. Väter, die bestimmte Prinzipien vertreten und ihrem Nachwuchs Vorbild sind und Maßstäbe setzen. Mütter, die sich nicht zu Bediensteten ihrer Kinder machen und sich durchzusetzen wissen. Die weitaus meisten Kinder respektieren Eltern und wissen instinktiv, dass man sich ihnen nicht widersetzt. Bei den anderen gibt es vermutlich keine Alternative zu „wer nicht hören will, muss fühlen“.