Systemsprenger: Eine Tracht Prügel und gut ist

Als ein „kraftvolles Regiedebüt um ein neunjähriges Mädchen, das sich radikal allen Verhaltensnormen verweigert und trotz aller Bemühungen von Helfern und Pädagogen in einen Teufelskreis zu geraten droht“ beschreibt der Filmdienst den Film „Systemsprenger“. Der Film wurde 2019 zu den Europäischen Filmfestspielen vorgestellt und dürfte bei einigen Zuschauern ziemlich eindeutige Erziehungsgedanken hervorrufen.

Protagonistin des Filmes ist die neunjährige Benni, die gegen alles aufbegehjrt, was ihr in die Quer kommt. Pflegefamilie, Wohngruppe oder Sonderschule – überall fliegt sie schon nach kurzer Zeit raus und treibt dabei ein ganzes Heer an Pädagogen zur Verzweiflung. Im Jugendamt kennt man Kinder dieser Art. Man nennt sie „Systemsprenger“ und sie tun Dinge, für die sie als erwachsene ganz schnell vor Gericht oder gar im Knast landen würden.

Benni will bei ihrer Mutter wohnen. Angeblich ist sie so wie sie ist, weil sie nach Liebe und Geborgenheit sucht. Doch die Mutter ist der Kleinen nicht gewachsen. Sie hat geradezu Angst vor der unberechenbaren Tochter, die sich allmählich in eine immer schneller drehende Spirale aus Wut und Gewalt hineinsteigert. 

Der Anti-Gewalttrainer Micha ist davon überzeugt, den unkontrollierten Wutausbrüchen der Kleinen beikommen zu können. Schaffen tut er es nicht.

„Wir haben diesen Film gemacht, um Verständnis für Kinder wie Benni zu wecken,“ wird die Regisseurin Nora Fingscheidt zitiert, die großes Verständnis für Kinder hat, die irgendwann von jeder Institution der Jugendhilfe abgewiesen werden, weil keiner mit ihnen umgehen kann. „Wie soll ein Kind, dessen einzige Kontinuität der Wechsel ist, irgendwo Halt finden?“ fragt sie sich.

Vermutlich werden den Film nur Leute sehen, die ähnlich denken: Pädagogen, Psychologen, genau die Clique also, die meint, genau zu wissen, wie man Kinder erzieht. Und die seit mehr als einer Generation der festen Meinung sind, dass Gewalt dabei keine Rolle spielen darf. Die Generation der Omas und Opas hingegen, wird sich dieses Werk wohl kaum ansehen wollen. Ihnen reicht schon der Trailer eines Filmes, der schon auf mehreren zumeist kleineren Festivals gelaufen ist und dort zahlreiche Auszeichnungen bekommen hat.

„Der gehört mal ordentlich der Arsch versohlt,“ ist eine Aussage, die ich hören konnte und die wohl stellvertretend für viele steht. Genauso wie: „Eine ordentliche  Tracht Prügel und die Göre würde wieder zur Besinnung kommen.“ Oder auch: „Mein Vater hätte ihr die Flausen mit dem Riemen ausgetrieben und zwar so oft, bis sie es begriffen hat.“

Nun ist die Situation natürlich etwas komplexer, aber Jugendliche dieser Sorte scheint es immer mehr zu geben. Als Kinder sind die meisten ja noch irgendwie beherrschbar, aber sobald sie Teenager geworden sind, flippen sie aus und wandern von einem Jugendknast in den anderen. „So etwas hat es früher nicht gegeben,“ lautet daher eine oft vernommene Schlussfolgerung und da ist durchaus etwas dran. Früher gab es nämlich zwei Dinge, die es heute immer seltener gibt, oder die völlig aus dem Bewusstsein verschwunden sind.

Das eine ist die Tatsache, dass man in früheren Generationen das mit Ehe und Familie einfach ernster genommen hat. Was öffentliche Moral ist, wurde damals noch von der Kirche bestimmt. Und dazu gehörte, dass man nicht einfach wild herumfickt, sondern sich erst für den Einen oder die Eine entscheidet, um erst einmal zu heiraten. Und das tat man nicht nach dem Motto, mal sehen, was daraus wird, sondern mit der festen Absicht, einen Bund fürs Leben daraus zu machen.

Das Wort Polyamorie kannte damals noch niemand und eine Frau, die mit mehreren Männern herummacht, galt schlicht und einfach als Schlampe. Ein Mann, der etwas auf sich hielt, gab sich mit so einer nicht ab. Auch sequentielle Monogamie ist ein Begriff, der erst deutlich später aufkam. Der Mann war natürlich grundsätzlich monogam, aber nicht mit dem Hintergedanken, sich neu zu orientieren, sobald eine attraktivere Möse daher kommt. Die Frau war meist Hausfrau und damit ohnehin von ihm abhängig. Sie war ihm schon deshalb treu, weil sie ihre wirtschaftliche Grundlage nicht aufs spiel setzen wollte.

Die daraus resultierenden Ehen waren zwar nicht immer Orte von Glück und Harmonie. Aber sie waren funktionierende Zweckgemeinschaften, die zumindest den Kindern einen Ort der Geborgenheit boten. Vater spielte zwar oft den Haustyrannen, aber für seinen Sohn war er dennoch der Größte und das das Vorbild, das sein ganzes Leben prägen sollte.

Kinder wuchsen seinerzeit vor allem mit einer Erkenntnis auf: Eltern haben nicht nur immer Recht. Sie haben auch uneingeschränkte Macht. Also muss man ihnen gehorchen, denn sonst setzt es Schläge. Es gab wohl bis in die sechziger Jahre hinein keinen Sohn, der daheim nicht von Zeit zu Zeit verdroschen wurde. Und es gab keine Tochter, die nicht wusste, welche Angst sie einen ganzen Tag ausgestanden hatte, nachdem wieder einmal die gefürchteten Worte gefallen waren: „Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt.“ Sie kamen aus dem Mund ihrer Mutter und die wusste ganz genau, was ihr Mann mit einem Mädchen machte, das eine Fünf nach Hause gebracht hat.

Auch dieser benutzte nämlich immer wieder dieselben Worte: „Geh auf dein Zimmer!“ und das Fräulein – ganz gleich ob sie sechs oder sechzehn war – befolgte brav seine Anordnung. Sie zog sich aus und wartete angsterfüllt im Nachthemd auf die väterliche Bestrafung, die ihr bevorstand.

Väter schlugen damals unbarmherzig zu. Sie nannten es Strenge und waren voll davon überzeugt, das Richtige zu tun. Ein strenger Vater zog seiner Tochter das Nachthemd hoch und verdrosch sie nach Strich und Faden. War sie noch klein oder hatte sie Glück, brachte er lediglich mit seiner flachen Rechten ihren Hintern zum Glühen. Wollte er jedoch wieder mal ein Exempel statuieren, nahm er den dünnen Rohrstock zur Hand, den es in praktisch jeder Familie gab. Manchmal war es auch eine Weidenrute aus einem halben Dutzend schmiegsam dünner Zweige, die richtig fetzte und unzählige grell anlaufende Striemen hinterließ. Oder es kam Vaters Ledergürtel zur Anwendung, der gewissermaßen das Symbol seiner häuslichen Macht war, das er immer an sich trug.

Nein, eine Neunjährige, die ihrer Wut freien Lauf lässt und ihr destruktives Potenzial auslebt, wie jene Benni, hatte es in der Generation unserer Großeltern nicht gegeben. Die wäre vermutlich schon nach dem ersten ungezügelten Verhalten mit einem wunden Po im Bett gelegen und hätte ihre Aufbegehren in Tränen erstickt.


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