Erziehungsheime, wie sie damals waren
Maria hatte gestohlen und das nicht zum ersten Mal. Der Richter hatte schnell erkannt, was das eigentliche Problem war: Ein junges Mädchen, das von der Oma erzogen wurde, die ganz offensichtlich damit überfordert war. Also entschied er, wie jeder Richter entscheiden würde. Sie kam ins Erziehungsheim, wo sie die wichtigen Lektionen fürs Leben lernen würde.
Es waren die fünfziger Jahre. Erziehungsheime waren Orte, an denen Waisen und schwer erziehbare Kinder erzogen wurden. Die meisten von ihnen wurden von der Kirche geführt und befanden sich hinter ehemaligen Klostermauern. Erzieher war damals kein Beruf, den man erlernen musste. Erziehen konnte schließlich jeder Vater und damit jeder Erwachsene, der mit dieser Aufgabe betraut wurde. Vor allem Nonnen wurden als gute Erzieherinnen geschätzt. Sie galten als streng und verstanden es, widerspenstige Mädchen auf den rechten Pfad zu bringen. Ihr Lehrbuch war die heilige Schrift. Ihre Methode war einfach und bestand vor allem darin, junge Mädchenhintern möglichst oft den Rohrstock spüren zu lassen. Denn dies war ein Heim für Mädchen und wer mit einer ganzen Horde Halbwüchsiger zu tun hatte, konnte nicht lange fackeln.
Maria war der Schreck in die Glieder gefahren, als das Urteil verlesen wurde. Das Erziehungsheim galt als der schlimmste Ort, an dem ein Mädchen aufwachsen konnte. Viele Eltern drohten daher ihren Töchtern damit, sie ins Heim zu stecken, wenn sie nicht parierten. Auch Oma hatte sie davor gewarnt, wenn sie wieder etwas angestellt hatte. Sie hätte besser den Lederriemen nehmen sollen, aber das brachte Oma nicht fertig.
Jetzt stand sie hier mit ihrem kleinen Koffer in der Hand. Drei schwarz gekleidete Nonnen blickten finster auf sie herab. Die Tür hinter ihr war abgeschlossen worden. Was vor ihr lag, wusste sie nicht. Aber sie wusste, dass man hier nicht sanft mit ihr umgehen würde.
Lese hier weiter, was mit Maria geschah. Erziehungsheime waren nämlich früher alles andere als ein erfreulicher Ort für junge Mädchen. In der Zeit nach 1945 gab es nicht nur viele Kriegswaisen. Es gab auch viele alleinerziehende Mütter, die mit ihrer Aufgabe völlig überfordert waren und ihre Kinder notgedrungen der Fürsorge des Staates übergaben. Und es gab schwer erziehbare Kinder, die den Behörden aufgefallen waren und den Eltern schlichtweg weggenommen wurden. Alle diese Kinder landeten in einem Erziehungsheim. Das wurde meist von der Kirche geführt und wer die dort arbeitenden Nonnen kannte, der wusste auch, dass diese zwar keine Ausbildung als Lehrerin oder Erzieherin hatten, dafür aber äußerst streng sein konnten und alles daran setzten, den heranwachsenden Mädchen und Jungen die christlichen Tugenden einzubläuen, die sie für das Maß der Dinge hielten.
Erziehung im Erziehungsheim bestand vor allem aus Schlägen. Dafür kam der Rohrstock, die Rute oder auch der Lederriemen zur Anwendung. Es waren zwar prüde Zeiten und die Mädchen trugen züchtige Kleider und Röcke, die bis weit über die Knie reichten. Aber wenn eine bestraft wurde, dann spielte Scham keine Rolle mehr und nicht selten wurde ein Mädchen kurzerhand nackt gemacht und festgebunden, damit die Züchtigung ihre volle Wirkung entfalten konnte. Besonders den Mädchen, die schon eindeutige Merkmale einer Frau erkennen ließen, war das äußerst peinlich, denn in diesem Alter sind sich Mädchen der Verwandlung ihres Körpers ganz besonders bewusst und reagieren entsprechend schamhaft.
Genau das war jedoch auch das Alter, in dem die Nonnen ein besonderes Augenmerk auf die Sittlichkeit der Mädchen hatten. Zeigte sich bei einem Mädchen die erste Monatsblutung, dann war das nicht etwa ein ganz normaler Vorgang, sondern wurde als Skandal gesehen. Man war damals besonders in religiösen Kreisen noch ziemlich ignorant, was die Sexualität anging. Ein menstruierendes Mädchen galt daher als ein unzüchtiges Mädchen, denn die Monatsblutung setzte schließlich erst dann ein, wenn die Kleine an sich herumgespielt und sie damit ausgelöst hatte. Also bezog sie erst einmal eine ordentliche Tracht Prügel und wurde danach sehr argwöhnisch beobachtet.
Natürlich spielten die Mädchen tatsächlich an sich herum. Selbstbefleckung nannte man das in religiösen Kreisen und das war natürlich streng verboten. Wurde eine dabei erwischt, war ein Gang ins Büro des Direktors angesagt. Dort wurde sie dann ihrer Kleidung beraubt und nackt wie sie war einer detaillierten Bestrafung unterzogen. Wie oft hast du es schon gemacht? Woran hast du dabei gedacht? Hattest du dabei unkeusche Gefühle? Hast du gebetet, damit dir der Herr helfe, dieses Laster zu bezwingen? Danach war eine Züchtigung fällig, die alles übertraf, was das Mädchen bisher erlebt hatte. Außerdem wurden ihr in den folgenden Wochen vor dem Schlafengehen die Hände am Bettpfosten festgebunden, damit sie nicht mehr in der Lage war, ihr sündiges Tun fortzusetzen.
Es gibt sogar einen Fernsehfilm, der die damaligen Praktiken dokumentiert und die strenge Erziehungspraxis in den Erziehungsheimen offenlegt.