Von Frauenhelden und den Anderen
"Eines Tages werden die Incels ihre wahre Stärke und Anzahl begreifen und das bedrückende, feministische System stürzen. Stell dir eine Welt vor, in der Frauen dich fürchten." Das sagte der amerikanische Student Elliot Roger. Der 22-jährige Amokläufer tötete in Isla Vista in der Nähe der University of California in Santa Barbara sechs Menschen und verletzte dreizehn andere Personen, bevor er sich mit einem Schuss in den Kopf selbst umbrachte. "Frauen sind wie eine Pest. Sie sind wie Tiere, komplett kontrolliert durch ihre ursprünglichen, verdorbenen Gefühle und Triebe,2 schrieb er in einem 137 Seiten langen Manifest.
Incels – der Begriff ist eine Kombination aus „involuntary“ und „celibate“. Er beschreibt also Menschen, die eher unfreiwillig sexuell enthaltsam leben. Weil sich einfach keine Frau für sie interessiert. Oder weil sie es irgendwie nicht schaffen, ein weibliches Wesen anzusprechen und für sich zu gewinnen. Das Ergebnis ist Frust, der sich bis zu einem tief greifenden Hass auf alle Frauen steigern kann. So wird zum Beispiel ein Incel zitiert, der sich einem Journalisten gegenüber äußerte:
„Junge Frauen in den vergangenen Generationen hatten immer Hilfe von ihrer Großmutter. Sie hat bei der Suche nach einem Mann geholfen. Sie hat gesagt: Das ist ein guter Typ, er wird für dich sorgen. Diese Großmutter wurde durch das Magazin Cosmopolitan ersetzt. Heute wollen Frauen nach oben heiraten. Sie wollen ihren Stand verbessern. Ich würde nicht sagen, dass wir Incels Frauen hassen. Aber wenn du 50-mal zurückgewiesen wurdest, dann entwickelst du negative Gefühle, das ist normal.“
Seiner Meinung nach sind Frauen „einfach designte Roboter mit dem Wunsch, sich fortzupflanzen.“ Eine Meinung, die er mit vielen anderen Incels teilt, die sich zum Beispiel in Internet-Gruppen wie love-shy.com austauschen. Dort kann man dann auch Aussagen wie folgende lesen:
"Mir wurde immer beigebracht, Frauen zu respektieren und nicht sexuell aggressiv zu sein. Das war ein Eimer voller Scheiße. Alles, was sie wirklich wollen, ist ein Muskelmann, der ihnen in den Arsch fickt, statt Liebe zu machen mit einer echten Person mit echten Gefühlen."
Elliot Roger gilt in diesen Kreisen als eine Art Vorbild. Aber man fragt sich auch, weshalb er zum Amokläufer wurde, anstatt das Naheliegende zu tun. Zitat: „Warum hat er nicht einfach eine Schlampe mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt?"
Viele Incels glauben, sie wären einfach zu hässlich, um eine Frau für sich gewinnen zu können. Schon in der Schule waren sie eher die Zuschauer mit den nächtlichen Fantasien, während Andere die hübschesten Mädchen abschleppten und sich damit brüsteten, wie viele ihrer Mitschülerinnen sie schon flachgelegt hätten. Sie sehen sich also als die Benachteiligten im großen Verteilkampf zwischen den Geschlechtern und glauben „Frauen sind von den Verführten zu den Verführern geworden, weil sie heute wirtschaftlich unabhängig sind.“ Und sie träumen von einer Welt, in der die Männer wieder das Sagen haben und Frauen wieder auf den ihnen zustehenden Platz verwiesen werden.
Irgendwie möchte man ihnen zurufen: Wacht auf, Jungs. Hör auf, euch selbst zu bemitleiden. Wie war es denn damals in der Schule? Wie war es wirklich? Klar gab es zur Teenie-Zeit die ganz tollen Kerle, die es irgendwie drauf hatten und allen Mädchen feuchte Höschen bescherten. Klar hat die eine oder andere die Beine breit gemacht und war auch noch ganz stolz darauf, dazu „auserkoren“ worden zu sein. Doch irgendwie waren es nicht die Hellsten, die sich auf solche Typen einließen und irgendwann ist selbst der Naivsten klar geworden, dass sie weder die Erste war, noch die letzte sein würde, die er mit seinem Schwanz beglückte.
Vor allem: Was ist denn aus den gut aussehenden Kerlen geworden, die seinerzeit von ihren Mitschülern beneidet und von all den noch unberührten Mädchen angehimmelt wurden? Waren die auch im Leben erfolgreich? Haben sie es auf Dauer geschafft, immer die Tollste, Schönste, Schärfste an ihrer Seite zu haben?
Mir zumindest sind keine solchen Fälle bekannt. Der ganz tolle Hecht zu meiner Schulzeit hieß Dietmar. Ob er wirklich all die Mädchen gefickt hat, von denen er unter vorgehaltener Hand erzählte, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass eine von ihm schwanger wurde. Sie war blond. Sie war schon recht gut entwickelt und, zugegeben, auch ich habe von ihr geträumt. Aber damals gab es die Pille noch nicht und Abtreibung war höchst kriminell. Also wurden die beiden Eltern, noch bevor er das Abi in der Tasche hatte.
Erst kürzlich bin ich bei stayfriends.de wieder auf seinen Namen gestoßen. Ich habe ein wenig recherchiert und fand einen Artikel aus der Lokalpresse. Darin wurde von einem gewissen Polizeiobermeister Dietmar G. berichtet, der soeben pensioniert worden war. Er hat also sein ganzes Leben in derselben Stadt zugebracht, in der wir zur Schule gingen. Er ist bei der Polizei gelandet und hat sein ganzes Leben als Beamter in Uniform gelebt. Nicht gerade eine glanzvolle Karriere, wie ich meine. Die kleine Blonde hat er immer noch. Seinerzeit hatte sie einen verführerischen Po, der prall ihre Jeans ausfüllte. Sie war eine der Ersten, der richtige, unübersehbare Brüste wuchsen. Heute ist sie ein fettes Wesen, das bei dem ehemaligen Weiberhelden bestimmt keine erotischen Träume mehr auslöst.
Ich war seinerzeit einer von den ganz Schüchternen. Kein, nicht ein einziges Mädchen interessierte sich für mich. Ich durfte nicht die Kleider tragen, die damals Mode waren, und war damit schon rein outfitmäßig megaout. Ich war der Tüftler, der zu Hause Radios bastelte. Ich war der Schreiber, der die erste Schülerzeitschrift der Stadt herausbrachte und dafür zum Abi einen Sonderpreis erhielt. Aber ich durfte zu keiner Party gehen und hatte damit schon rein logistisch keine Chance, in irgend einem schummrigen Partykeller mit einem Mädchen herumzuknutschen.
Meine erste Freundin hatte ich erst, als ich schon richtiges Geld verdiente. Aber es war nicht einfach irgend eine aus der Nachbarschaft, sondern ein exotisches Wesen vom anderen Ende der Welt. Denn ich konnte nicht nur gut schreiben. Ich kam auch viel in der Welt herum und sprach fließend Englisch – eine ganz wesentliche Voraussetzung, um sich das Besondere ins Bett zu holen. Ach ja, auch ich bin mittlerweile in dem Alter, in dem andere an die Rente denken. Aber ich denke noch lange nicht daran. Dafür ist mein Beruf, mein Leben viel zu interessant. Genauso wie mein Sexualleben, das noch immer nicht erloschen ist und von einer neuen Schönheit am Leben gehalten wird, die ich nur nackt sehen muss, um wieder Lust zu kriegen.
Wie gut, dass es zu meiner Jugendzeit keine Incels gab, die meinen, Amok laufen zu müssen, weil sie mit 22 noch keine abbekommen haben. Denn erst gegen Ende des Lebens weiß man, wer wirklich erfolgreich war. Wer ein erfülltes Sexleben hatte. Wer es irgendwie geschafft hat und wer nicht.