Gedanken eines Wachmanns



Er hasst diese jungen Dinger. Sie waren eine Plage. Es verging kein Tag, an denen er nicht zwei, drei von ihnen festnahm, um eine Anzeige zu machen. Sein Job bei einem Wachdienst war nicht gerade gut bezahlt, aber er hatte gelernt, sein Gehalt aufzubessern. Sie fühlten sich sicher, wenn sie im Büro vor ihm saßen. Sie kannten das Spiel und wussten, dass ihnen wegen eines kleinen Ladendiebstahls nicht viel passieren würde. Den Brief an die Eltern konnte man abfangen. Die Strafe wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht war erträglich. Schon das nächste gestohlene Marken-T-Shirt würde alles wieder wettmachen.

Wenn man etwas tagtäglich tut, entwickelt man Routine. Und man lernt, seine persönlichen Vorteile aus einer Situation zu ziehen. Als groß gewachsener Mann strahlte er schon von Natur aus Autorität aus. Sie wussten, dass sie gegen ihn keine Chance hatten. Rein körperlich zumindest. Also hatten sie Respekt vor ihm. Zumindest solange sie allein mit ihm in Büro waren und nicht anders konnten, als das zu tun, was er von ihnen verlangte.

Als erstes durchsuchte er ihre Taschen. Fast jede von ihnen hatte eine Handtasche, eine Schultertasche oder einen Rucksack dabei. Den Inhalt leere er erst mal auf den Tisch, um sich einen Überblick zu verschaffen. Nicht selten befand sich darin weiteres Diebesgut, das sie während ihres nachmittäglichen Streifzugs eingesammelt hatten. Fand er Geld, behielt er es ein und nannte es Bearbeitungsgebühr. Sie kriegten sogar eine Quittung dafür, damit es ganz offiziell aussah. Ansonsten kriegten ihre Eltern eine Rechnung, die so gut wie immer auch prompt bezahlt wurde. Das Bargeld betrachtete er als seinen Verdienst. Die Überweisungen flossen an seinen Arbeitgeber.

Die Strafanzeige war obligatorisch. Er nahm dafür ihre Personalien auf, füllte ein Formular aus und verlangte eine Unterschrift. Damit war sein Job erledigt, sie durften den Tascheninhalt wieder aufsammeln und das Büro verlassen. Die meisten von ihnen sah er wieder.

Früher wäre so eine Diebin mit der Polizei nach Hause eskortiert worden. Dort hätte sie zuerst einmal Dresche bezogen und mindestens vier Wochen Hausarrest wären ihr sicher gewesen. Noch früher hätte sich die Polizei selbst um ihre Bestrafung gekümmert. Einen Rohrstock gab es im 19. Jahrhuindert noch auf jeder Polizeiwache. Ein Mädchen das man beim Schule schwänzen erwischt hatte, bekam ihn gleich an Ort und Stelle zu spüren. Und eine Kaufhausdiebin natürlich erst recht.

Heute hatte die Polizei gar keine Zeit mehr, sich um solche Bagatellen zu kümmern. Und was eine Tracht Prügel ist, hatten die allermeisten von ihnen nie erfahren. Entsprechend dreist gingen sie vor. Es konnte ihnen ja nicht wirklich etwas passieren. Nur in ganz seltenen Fällen kam es zu einer Gerichtsverhandlung und sie wurden zu irgend einer gemeinnützigen Tätigkeit verdonnert.

Doch als Wachmann entwickelt man Menschenkenntnis. Und so wusste er instinktiv, ob er es mit einer verzogenen Göre aus reichem Hause zu tun hatte, die eigentlich nur aus Langeweile klaute. Er erkannte auch die Mädchen aus der Unterschicht, die sich heimlich eine Jeans für hundert Euro in den Rucksack gestopft hatten, weil ihnen solch teure Jeans ihre Eltern nie kaufen würden. Und er merkte sofort, wenn er es mit einer Mitläuferin zu tun hatte, die eigentlich nur in schlechte Gesellschaft geraten war und ihre Freundinnen beeindrucken wollte.

Er war ein Mann und er seine Klientinnen waren ziemlich jung und meist auch recht hübsch. Das löste in ihm natürlich eindeutige Gedanken aus. Bei so mancher von diesen verzogenen Gören wünschte er sich insgeheim, ihr Vater zu sein und ihr die Erziehung angedeihen zu lassen, die sie schon lange verdiente. Würde es nach ihm gehen, dann würde er jede Diebin direkt hier in seinem Büro über den Tisch legen. Ein breiter Ledergürtel würde blitzschnell dazu führen, dass sie ihre Tat bereut und wäre weitaus wirksamer als jede Jugendstrafe. So ein Teenager würde es sicher zweimal überlegen, auch nur ein einziges Kleidungsstück mitgehen zu lassen, wenn die Gefahr bestand, dafür nackt gemacht zu werden, um ein paar kräftige Striemen auf den Hintern gezeichnet zu bekommen.

In Singapur, so hatte er gehört, war das auch heute noch durchaus üblich. Dort genügte es schon, ein Stück Papier unachtsam auf den Boden zu werfen, um vor einem Schnellgericht zu landen. Und bei jungen Mädchen kannte man in diesem Land vor allem eine Strafe und die lautete: ein Dutzen Stockhiebe. Mindesstens. Dafür gab es dort in jedem Gefängnis einen extra Strafraum. Da wurde die Betreffende bis zum Nabel nackt gemacht und über einen Bock geschnallt. Danach holte der Strafoffizier aus und der Rohrstock sauste so oft auf das entblößte Gesäß nieder, wie es im Urteil stand. Auch in einigen afrikanischen Ländern herrschten dieselben Gesetze. Aber dort liefen ja auch heute noch die Lehrer mit dem Rohrstock in der Hand über den Schulhof und wussten sich durchzusetzen.

Die ausführliche Veriante der Geschichte findet ihr hier.