Amazon: Moralapostel im eBook-Markt
Amazon ist ein amerikanisches Unternehmen und als solches zunächst mal auf den heimischen Markt fokussiert. Das trifft auch auf den Verkauf von eBooks zu, bei dem Amazon in den USA einen Marktanteil von 75 % hat. Doch das Unternehmen ist unter Beschuss geraten und musste sich mit Kritikern auseinandersetzen, denen vor allem eines ein Dorn im Auge war: Im Kindle-Shop von Amazon kann jeder eBooks mit erotischen Inhalten herunterladen. Selbst richtige Pornos findet man da und das ist natürlich im Land der evangelikalen Moralwächter nicht hinnehmbar.
Wobei die Aufregung eigentlich lächerlich ist. Pornografie ist längst Allgemeingut geworden und seit es das Internet gibt, sind alle Spielarten davon frei verfügbar. Jedes Kind, das einen Browser bedienen kann und grundlegende Schreibkenntnisse hat, kann auch mit Google & Co. auf die Suche gehen und hat auf vermutlich Millionen von Videoclips Zugriff. Ob das gut ist, sei dahingestellt. Es ist einfach so wie es ist und so weiß heute jeder Zwölfjährige, wie eine Muschi aussieht und spätestens mit vierzehn kennt er alle Stellungen und ist bereit, das alles mal selbst auszuprobieren.
Papa kann zwar eine Kindersicherung im Browser einrichten, aber einigermaßen gescheite Teenager haben die innerhalb von Minuten ausgehebelt.
Das pornografische eBook ist hier wohl das geringste Problem. Ganz im Gegenteil, hier sind die Hürden sogar besonders hoch. Bis auf die wenigen kostenlosen Angebote braucht Sohnemann nämlich zumindest Papas Kreditkarte, um einen vermeintlich heißen Titel auf den Kindle oder das Tablet laden zu können. Und dann muss er den Inhalt auch noch mühsam lesen, während er einen Videoclip in voller HD-Auflösung auf den Monitor gespielt bekommt.
Eltern, die das nicht glauben, sind irgendwie nicht von dieser Welt und sollten sich vielleicht mal einen Eindruck davon verschaffen, was ihre Kids so auf dem Smartphone mit sich herumtragen. Und folglich auch in ihren Köpfen haben.
Amazon hat auf die Attacken reagiert und mehr oder weniger klein beigegeben. Im Focus stehen dabei alle Titel, deren Inhalt „explicit“ ist. Mit diesem Begriff bezeichnet man in Amerika alles, was nicht nur erotisch ist, sonder auch richtig ins Detail geht. Detaillierte Beschreibungen sexueller Handlungen sind daher ab sofort auf der schwarzen Liste. Und genau das ist es ja, was einen Porno ausmacht.
Auch Widerwort musste schon die Erfahrung machen, dass ein hochgeladener Titel mit dem Vermerk „blockiert“ auf der Liste stand. Das Buch „Straffe Zügel – Zeige ihr, wo ihre Grenzen sind“ von Wolfram Steffen wird es also bei Amazon nicht geben. Andere Bücher sind weiterhin erhältlich. Aber wie lange noch, vermag derzeit niemand zu sagen. Eine Frage nach dem Warum für die Sperre führte lediglich zu einer vorformulierten eMail, in der unspezifisch auf einen „Content“ hingewiesen wurde, der mit den Regeln von Amazon nicht vereinbar ist. Auch das Erstlingswerk von Wolfram Steffen 2das Weib sei dem Manne untertan“ war kurzzeitig bei Amazon nicht zu finden. Unsere Vermutung, dass es am Titel lag, auf dem man mit etwas Fantasie das Geschlechtsteil einer Frau ausmachen konnte, war offensichtlich richtig. Nach Austausch des Titelmotivs wurde der Titel wieder angeboten.
Wie zu hören ist, macht sich Amazon nicht die Mühe, jedes einzelne Buch von einem Lektor überprüfen zu lassen. Vielmehr lässt man den Text einfach durch ein Prüfprogramm laufen, das dann entscheidet, ob der Text im akzeptablen Rahmen liegt oder nicht. Eine Prüfung betrifft dabei schlicht und einfach die Rechtschreibung. Wer hier allzu schlampig vorgeht, muss sein Buch nochmals überarbeiten und darf es dann erneut einstellen. Außerdem scheint es so zu sein, dass das Buch nach bestimmten Unworten durchsucht wird, die in einem unverfänglichen Buch eher nicht vorkommen. Begriffe wie „ficken“, „Möse“, „Arsch“ und „Titten“ dürften dem Computer-Algorithmus vermutlich nahe legen, dass es sich hier um ein pornografisches Werk handelt.
Mich würde interessieren, wie ein anerkannter Schriftsteller wie Michel Huellebecq dabei eingeschätzt wird. Immerhin zeichnet auch er sich durch eine recht unverblümte Sprache aus und benutzt dabei Worte und Formulierungen, die mittlerweile eigentlich zur Alltagssprache gehören. Aber er trifft wohl in Amerika ohnehin kaum auf eine nennenswerte Leserschaft. Dort reagiert man seit jeher allergisch auf so genannte „dirty words“. Es gibt sogar Foren und Chats, die eine Liste an unakzeptablen Begriffen haben, die einfach nicht angezeigt werden. Es ist eben ein Land, das die größte Pornoindustrie der Welt hat, aber sich wegen etwas nackter Haut in einem Fernsehfilm oder einem anstößigen Wort fürchterlich aufregen kann.